1Nachdem ich jüngst zur holden Frühlings-Zeit,
2Auf einer Wiese mich befand,
3Und nah’ an einem Graben stand,
4Bewundert’ ich des Wassers Reinigkeit.
5Des tieffen Grabens klar-nunmehr enteis’tes Raß
6Stand rings umher mit Gras und Klee bekräntzet,
7Durch dessen grünen Schein es nicht nur lieblich gläntzet;
8Es war durchsichtig, wie ein Glas:
9So daß mein Blick in dieses Grabens Tieffe
10Gantz ungehemmet sanck, und, recht als wenn er leer,
11Und gar kein Wasser drinnen wär’,
12Mit Anmuth hin und wieder lieffe,
13Bald bunte glatte Stein’ auf weissem Sand’ entdeckte,
14Bald junges Kraut, das hie und da
15Die zarten Spitzen aufwärts streckte,
16Nebst grünen Mooß und frischen Binsen sah.
17Indem ich nun dadurch gerühret, stand,
18Und von der Frühlings-Pracht ein inniges Vergnügen
19Auf dieser glatten Fluth empfand;
20Sah ich ein halb geformt, halb Form-los Etwas liegen,
21Das einem grauen Stein, an Farb’ und Bildung, glich.
22Kaum daß ich ihn mit Ernst und Fleiß besehe,
23Fängt der vermeinte Stein sich an zu regen,
24Begiebt sich allgemach, doch langsam, in die Höhe
25Und kommt, mit wenigem Bewegen,
26Ein Frosch bis auf des Wassers Fläche.
27Hier schien er, für das helle Licht
28Und aller Frühlings-Pracht, zu stutzen,
29Lag gleichsam gantz erstarrt, und rührete sich nicht.
30Doch fieng er endlich an sein blöd Gesicht
31Mit seiner kleinen Hand zu wischen und zu putzen,
32Stutzt abermahl, und bliebe, lange Zeit,
33Vermuthlich überhäufft von so viel Herrlichkeit
34Und gantz erstannet für Vergnügen,
35In seiner ersten Lage liegen.
36Zuletzt gab er, mit fröhlichem Geschrey,
37Wie sehr er durch die Welt, da sie so Wunder-schön,
38Ergetzet und gerühret sey,
39Mit lautem quacken zu verstehn.
40Ich sahe dieß bewundernd an, und sprach:
41Ach! folgten wir auch deinen Beyspiel nach,
42Vom Schlaf erwachter Frosch! ach mögten wir
43Nach dunckler Winter-Nacht, an allen Frühlings-Schätzen,
44An aller Creaturen Zier,
45So, wie du thust, uns auch ergetzen!
46Ach liessen wir doch Dem, Der alles schuff, zu Ehren,
47Auch manches frohe Danck-Lied hören!
48So dacht und wünscht ich noch, als auf einmahl
49Ein neues Licht, mit einem schnellen Strahl,
50Mir in die Seele drang. In einer Dunckelheit
51In schlammigtem Morast in einer finstern Tieffe
52Hat, dacht ich bey mir selbst, der Frosch so lange Zeit
53Den gantzen Winter durch, gestecket.
54Wird er nicht gleichsam ietzt als aus dem Grab’ erwecket?
55Ja wahrlich, lieber Frosch, es stellt dein Zustand mir
56Und allen Menschen insgesammt
57Ein Wunder-schön Exempel für.
58Es wird mein Geist von neuen angeflammt,
59Indem er hier den Stand der irdschen Welt,
60Jm Gegenhalt mit der, die uns, nach diesem Leben,
61Der Schöpfer wird im ewgen Frühling geben,
62Nicht anders sich vor Augen stellt,
63Als deinen Winter-Aufenthalt,
64Wo alles schlackrig, wiedrig, kalt,
65Bedeckt mit Dämmrung bald, bald dicker Finsterniß,
66Wo alles unstet, ungewiß,
67Wo der Gewonheit Schlamm die Augen uns verdeckt,
68Und der Geschöpfe Pracht für uns versteckt,
69Wie wird uns nun, wann wir erblassen,
70Und wir den duncklen Grund verlassen,
71Wenn unser Geist (so, wie du durch die Fluth)
72Sich durch die Lufft erhebt, und aufwärts steiget;
73In jener Erden Frühlings-Schein
74Und seelger Herrlichkeit zu Muth,
75Wie werden wir erquickt, ja gar entzücket, seyn!
76Wann wir in den gestirnten Höhen,
77In tausendfach vermehrtem Licht,
78Mit gantz verklärtem Blick, und seeligem Gesicht,
79Viel tausend tausend Welt’, und tausend Sonnen-Heere,
80In einem unumschränckt- und lichten Anmuths-Meere,
81Wie Inseln herrlich schwimmen sehen!
82Wird nicht ein solcher Wunder-Glantz
83So dann in nimmer satten Blicken
84Der frohen Seele Wesen gantz
85Beseeligen, verhimmeln und entzücken?
86Bis daß die Nacht die Welt in Schatten hüllt,
87War mein recht inniglich hiedurch gerührt Gemüthe
88Mit diesen lehrenden Gedancken angefüllt.
89So gar, daß mein sanft wallendes Geblüte
90Nachdem ich mich ins Bett gelegt,
91Die rege Phantasie bewegt,
92Und einen Traum erregt,
93Der iedennoch so sonderlich,
94Daß einem wircklichen Gesicht’ er mehr,
95Als einem leichten Traume, glich.
96Mich deucht, ich läge kranck, mein Lebens-Oel ver-
97Mein Hauch würd’ schwer und schwach, blieb’ endlich völ-
98Der rege Geist verließ sein lang bewohntes Haus,
99Kaum daß derselbe sich von seinem Cörper wandte,
100Als er, nach leichter Blasen Art,
101Die aus dem Grund’ im Wasser aufwärts steigen,
102Mit einer leicht- nud schnellen Fahrt
103Sich durch die Fluth der Lufft allmählig höher zog,
104Und im geraden Strich von unten aufwärts flog.
105Wie er nun auf der Lufft bestrahlte Fläche kam,
106Woselbst voll reiner Heiterkeit,
107Von allen Düfften leer, von allem Dunst befreyt,
108Die Himmels-Lufft erst ihren Anfang nahm,
109Fiel ein gantz ander Licht,
110Als er allhier gewohnt zu sehn, ihm ins Gesicht.
111Wie ich nun alles dieß, fast, doch nicht gantz geblendet’,
112Erstarret übersehn, fiel mein gerührter Blick
113Erstaunet auf mich selbst zurück,
114Ich sah mich durch und durch, mir ward mein wahres
115Nun allererst bekannt: als wie in einer Schrift,
116Kunnt’ ich im innersten von meiner Seele lesen
117Das, was ich auf der Welt begangen und gestifft,
118Ja gar was ich gedacht. Kein Spiegel stellt so klar
119Die cörperliche Vorwürff dar,
120Als ich mir von mir selbst ein heller Spiegel war.
121Was man Gewissen heist
122Ersüllte meinen gantzen Geist.
123Ich fand mich gantz entblösst von Wollust, Ehre, Geld,
124Als eitlen Zielen dieser Welt.
125Nur die Gedächtniß meiner Thaten,
126So wohl die bös, als welche gut gerathen,
127War bloß allein
128Mein gantzes Seyn.
129Indem ich auf der Lufft, als einem Wasser, schwam,
130Kam ich mir anfangs vor
131Fast wie ein Frühlings-Frosch, der in der Winters-Zeit
132Jm Sumpff und im Morast gestecket,
133Der aber, wie der Frühling wieder kam,
134Nach dicker Nacht, die Sonn im hellen Glantz entdecket,
135Beschmutzt und sonder Schmuck. Doch eine Reinlichkeit
136Kunnt ich mit innigem erquicken,
137Bald hie bald da noch durch den Schmutz erblicken.
138Dieselbe Reinlichkeit und heller Schmuck entstunden
139Aus mancher Lust, die ich alhier
140In der Geschöpfe Schmuck und Zier,
141So lang ich auf der Welt, empfunden.
142Und die den Geist, der sie zu GOttes Ruhm erblickt,
143Indem sie nnvermerckt ihm selbst sich eingedrückt,
144Ob sie es gleich alhier nicht einst gemerckt, geschmückt.
145Ich ward hierauf in kurtzer Zeit gewahr,
146Daß alles schmutzige, vom Wasser aufgelöst,
147Sich von mir sonderte, wodurch mein Wesen klar
148Und hell, wie alles, ward, ja auch so leicht zugleich,
149Daß ich mich aus der Fluth, worin viel tausend trieben,
150Die in beständiger Gefahr
151Noch wieder zu versincken, blieben,
152Behend erheben kunnt. Ich trat ins Seelen-Reich,
153Durchdrungen und durchstrahlt von einem süssen Glantz,
154Mein Wesen, gantz verklährt, verherrlichte sich gantz.
155Unglaublich angenehm war alles, was ich sah,
156Ein ieder Vorwurff gläntzt. Es glimmt in buntem Schein
157Feld, Wiesen, Acker-Feld, Gras, Kräuter, Holtz und Stein,
158Ja was noch mehr, viel tausend Creaturen,
159Die uns hier unbekannt, wovon wir keine Spuren
160Hier auf der Welt gesehn, ward ich daselbst gewahr,
161Die unansdrücklich schön, und welche nicht zu zehlen,
162Die aber, weil dazu die Nahmen fehlen,
163Und keine Wörter ausgefunden,
164Nicht zu beschreiben sind.
165Das Grün war wie das Grün an einem Pfanen-Schwantz,
166Vermischt mit Klarheit, Licht und Glantz.
167Die Bluhmen funckeln hier und glühn,
168Die blauen wie Sapphir, die rothen wie Rubin,
169Und was nur sichtbar, ist durchsichtig, hell und klar.
170Das Licht, das alles hier erfüllet, ist so licht,
171Daß es durch jeden Vorwurff bricht,
172Da es so gar den Geist durchdringet.
173Wodurch in allem, was man sieht,
174Indem das Licht, wie hier, davon nicht rückwärts springet,
175Ein lieblich-froher Glantz und Freuden-Feuer glüht.
176Ich ward hier durchs Gehör entzückt mehr, als ge-
177Weil hier der gantze Kreis der Lüffte musiciret.
178So ward nicht weniger mein Geist durch einen Schwall
179Von ausgedünsteter ambrirten Krafft,
180Aus Pflantzen, woraus überall
181Ein edler Balsam-Safft
182In Uberfluß und unaufhörlich quillet,
183Gelabt, durchdrungen und erfüllet.
184Ich streckte meine Hand begierig aus,
185Ein Blühmchen abzupflücken,
186So recht vor andern schön. Allein
187Wie stutzt’ ich, als ich nichts daselbst befand;
188Die Finger traffen nichts, was fühlbar war, in ihnen,
189Wie sie gegläubet, an, ob sie gleich fühlbar schienen,
190Weil sie für cörperlich-noch nicht verklärte Hände,
191Da sie nicht cörperlich, nicht fühlbar seyn.
192Dieß nun noch ferner zu probiren,
193Entschloß ich mich, den harten Stamm
194Von einer Eichen zu berühren.
195Allein auch hier war nichts zu fassen.
196Die gantze Hand ward durch den Baum gelassen,
197Als wie durch leere Lufft. Hierüber noch weit mehr
198Erstannet und bestürtzt, kam ich von ungefehr
199An einen Fluß, der einen reinen Spiegel
200An Glätt und Klarheit gleich, der durch bebüschte Hügel
201Und lauter Bluhmen floß.
202Das Ufer, wo mein Fuß, für Anmuth, stille stand,
203Schien ein fast güldner Sand:
204Das aber, weil es gäh, mit mir herunter schoß.
205Ich fiel, für Angst erstarrt, von oben in die Fluth.
206Ohn’ alle Hoffnung meines Lebens:
207Jedoch, wie wol ward mir zu Muth!
208Mein Schrecken war vergebens.
209Die Fluth hatt von der Fluth für mich nur die Figur,
210Und ungefehr der Lufft Natur,
211Die weder netzet noch erstickt.
212Ich gieng demnach durch diese trockne Wellen,
213Von ihnen nicht gehemmet noch gedrückt,
214Biß zu derselben grünen Grentzen,
215Wo Millionen Bluhmen gläntzen,
216Zum andern Ufer fort: Die allerdicksten Hecken,
217Dergleichen ich auf Erden nie gesehn,
218Fand ich daselbst, voll starrer Dornen, stehn:
219Die aber mir den Durchgang nicht verwehrten,
220Noch im geringsten mich versehrten.
221So bald ich nun mit ungehemmten Gang
222Durch die verwachsnen Hecken drang;
223Befand ich mich auf einem weiten Platz,
224Der grün, wie ein Smaragd, in welchem Bluhmen stunden,
225Die alle, wie ein reicher Schatz
226Von lieblich spielenden Opalen,
227Mehr Glantz als Farben von sich strahlen.
228Ein lieblicher Oranjen Wald
229War an der rechten Hand ein rechter Aufenthalt
230Von Anmuth, Ruh, Zufriedenheit und Lust.
231Hier traff ich, halb entzückt, so schöne Menschen an,
232Daß ich, wie sehr mich ihre Schönheit rührte,
233Und wie die Lust so groß,
234Die ich in ihrem Ansehn blos
235Bey mir verspührte,
236Unmöglich recht beschreiben kann.
237Kurtz, es war ihre Zier
238Recht so wie wir uns hier
239Die Engel vorzustellen pflegen,
240Die Schimmer, Glantz und Licht in ihrem Wesen hegen.
241Allein!
242Was recht verwunderlich,
243Es schien kein eintziger für sich,
244Hingegen alle blos
245Vom Gantzen nur ein Theil zu seyn.
246Es war die Eintracht groß,
247Ja wunderbar und ungemein.
248Recht wie in einem Krieges-Heer
249Sich Regimenter so vereinen,
250Daß an Bewegung sie nicht anders scheinen,
251Als wenn es nur ein einzger Cörper wär;
252So, doch weit inniger annoch vereint,
253War dieses Geister-Heer, da sie ein wircklich Ein,
254Wenn sie sich gleich zertheilen, seyn.
255Es schien, ob herrschte nur ein Wille
256In dieser gantzen Schaar. In einer regen Stille
257War überall
258Ein unausdrücklich süsser Schall,
259Ein süß harmonisches Gethön
260Nicht nur zu hören, auch zu sehn.
261Die Lust die einer fühlt’, empfand sogleich ein ieder,
262Nicht anders wie bey uns die andern Glieder
263An einem Cörper das zugleich ergetzet,
264Was ein Glied in Vergnügung setzet.
265Daher war ihnen nichts als eine stete Lust,
266Die allen allgemein, bewust.
267Es sucht kein eintziger für sich allein
268Beglückt zu seyn;
269Sie theilten sich auf eine süsse Weise,
270Dem Schöpffer aller Welt zum Preise,
271An iedem Ort, bey iedem Schritt,
272Einander ihre Freude mit.
273So wie auf Erden keine Lust
274Der Menschen Brust
275Mit einem tieffern Eindruck rührt,
276Als wenn durch Wechsels-weis’ erregte Triebe
277Die Anmuth zugelassner Liebe
278Ein paar verbundner Hertzen spührt;
279So ist ja leichtlich zu begreiffen,
280Wie vielfach sich ein inniges Ergetzen
281In dieser Menge müsse häuffen,
282Und sie in seelge Lust versetzen,
283Da ihrer viel in seelger Brunst sich üben
284Sich immer mehr und mehr zu lieben.
285Solch eine Schaar bestand aus mehr
286Als zehn mahl hundert tausend Seelen,
287Die alle, zu des Schöpfers Ehr,
288In ihrer Lust, die Macht und Lieb erzehlen,
289Die täg-ja stündlich sich bey ihnen noch vermehrt.
290Hierüber wacht ich auf. Und ob mir gleich die Pracht
291So vieler Schön- und Seltenheiten,
292So ungemeiner Herrlichkeiten,
293Lust, Anmuth und Vergnügen bracht;
294So war ich doch von der Durchdringlichkeit
295Der dort gesehnen Creaturen
296Noch mehr, als den vortrefflichen Figuren,
297Recht inniglich gerührt. Wie die Beschaffenheit,
298Daß sie nicht fühlbar sind, nicht nur ein klares Zeichen
299Von ihrer steten Daur, (da blos dadurch allein,
300Daß hier die Cörper fest und undurchdringlich seyn,
301Sie den Verändrungen fast unaufhörlich
302Sind ausgesetzt, und ihnen müssen weichen,
303Einfolglich stets vergänglich und zerstörlich,
304Und unbeständig sind:) so zeigt es gleichfalls an,
305Daß, wie man ja nicht leugnen kann,
306Dergleichen Wesen seyn und leben müssen,
307Wir auch daher nicht unwahrscheinlich schliessen,
308Daß man vielleicht auch schon in diesem Leben
309Mit Creaturen sey ümgeben,
310Die so, wie jene dort, nicht fühlbar, aber doch
311Nicht minder würcklich sind.
312Dieß war zuerst, was ich aus meinem Traum gedachte,
313Bis er mich ferner noch auf die Gedancken brachte:
314Ich war von den vereinten Schaaren,
315Die, da sie mit unzehligem Vergnügen,
316So allen allgemein, sich fügen,
317Und Glieder eines Cörpers waren,
318Recht sonderlich von neuen eingenommen,
319Bis ich dadurch auf die Gedancken kommen:
320Wie, dacht ich, kann es möglich seyn,
321Daß Menschen iemahls auf der Erden
322Vergnügt und glücklich können werden?
323Da ieder blos für sich allein
324Gedencket, handelt, ist und lebet,
325Da ieder für sein einzigs Ein,
326Mit aller Ausschluß, sorgt und strebet;
327Da ieder Wollust, Ehre, Geld,
328Des Glückes Vorwürff’ in der Welt,
329Auf solche Art für sich begehrt;
330Daß das, was er erhält,
331Ein andrer missen muß. Je mehr dein Gut sich mehrt;
332Je mehr beraubst du mich
333Desjenigen, so mein geliebtes Ich
334Erhalten und besitzen könnte.
335Wie wär es denn, nach meiner Eigen-Liebe,
336Die mich, nur mich zu lieben, triebe,
337Doch möglich, daß ich dir es gönnte?
338Wenn nicht die Furcht der Straff’ allein,
339Die auf Entwältigung gesetzet seyn,
340Mir die natürlichen Begierden und Gedancken
341Zwar in die vorgesetzte Schrancken,
342Jedoch fürwahr gezwungen, hielten.
343Der Zwang allein ist der Ratur so sehr
344Entgegen und zuwieder;
345Daß sonder Zweifel sich ein ieder,
346Müst er sich nicht befürchten oder schämen,
347Das meinige mir weg zu nehmen,
348Sich ohne Zweiffel leicht bequemen,
349Und schnell entschliessen würd’. Es zeigt sich dieses klar:
350Weil eben auf den Raub der Ehre
351Kein’ Art von Straff’ absonderlich gesetzt,
352Und daß man, ohn Gefahr,
353Des Nächsten Leumuth raubt, und ihn dadurch verletzt;
354So seh man doch, wie wir zum tadlen, affterreden,
355Zum lästern, spotten, zum verdrehn,
356Die Menschen unter sich so fertig sehn.
357Es wird sich keiner leicht entblöden,
358Um ins geheim sein Ich hinauf zurücken,
359Des Nächsten Ruhm zu unterdrücken,
360Und bloß, daß man ihn möge klüger heissen,
361Des Nächsten Ehren-Bau herüm zu reissen.
362Pfuy! daß man, wieder alle Pflichten,
363Sich nicht entsieht, für sich, was man dem Nächsten stahl,
364Zu nehmen, und sein Ehren-Mahl
365Auf jenes Schand-Mahl aufzurichten!
366Wie nöthig hier in dieser Welt
367Die Nächsten-Lieb’, und die Geselligkeit,
368Hat Moses im Gesetz uns nicht nur vorgestellt;
369Selbst Christus hat der Christenheit
370Nicht unsre Freunde nur, so gar den Feind zu lieben,
371Als wie ein solch Gebot zur Regel vorgeschrieben,
372Das fast dem grössesten Gebot nicht weicht,
373Und sich an Wichtigkeit dem GOttes-Dienst vergleicht.
374Je mehr wir diese Lehr erwegen,
375Je mehr strahlt eine Göttlichkeit,
376Erkenntniß, Wahrheit, Heil und Segen
377Aus ihr, als wie ein Licht.
378Kein Laster scheint fast übrig mehr zu bleiben,
379Könnt einer nur
380Von unsrer menschlichen Natur,
381Der Eigen-Liebe Gifft vertreiben.
382Es ist daher gewiß, und bleibt dabey,
383Daß die Geselligkeit und Nächsten-Liebe
384Nicht nur ein Feind der lasterhaften Triebe,
385Nicht nur der Inbegriff von aller Tugend sey;
386Nein, daß vermuthlich gar in jener seelgen Höhe
387Hierin ein grosses Theil der Seeligkeit bestehe,
388Durch andrer Freud und Lust die seine zu vermehren:
389Da sich auf solche Weis’, ohn alle Maaß und Zahl,
390Vergnügungen und Anmuth auf einmahl,
391Stat einer einzigen auf dieser Welt,
392In steter Fülle zu uns kehren.
393Ach wenn doch dieser Satz, nächst unsrer Glaubens-Lehre,
394Die Richtschnur unsers Lebens wäre!
395Wir würden nicht nur glücklich hier allein,
396Wilt du geliebet seyn, so liebe)
397So gar, von vielen Sünden rein,
398Auch dort vergnüget seyn.