Barthold Heinrich Brockes: Betrachtung verschiedener zu unserem Vergnügen belebten Insecten (1735)

1Man siehet ietzt fast überall mit Hauffen,
2Viel bunte Käferchen, gefärbte kleine Fliegen,
3Zu unsrer Augen-Lust, ein Leben kriegen,
4Und in dem Gras’, auf Kraut, auf Laub und Bluhmen

5Mein GOTT! wenn ich die bunte Meng’ erwege,
6Und ihrer Farben und Figur
7Bewunderns-werthe Zierlichkeit,
8Bewunderns-werthen Unterscheid,
9In stiller Muss’ erweg’ und überlege,
10Wie schnell sie hüpffen, fliegen, rennen,
11Wie fertig sie sich regen können,
12Ergetzet mich die spielende Natur.
13Ich freue mich: denn ich kann deutlich sehn,
14Da sie so mancherley, so zierlich und so schön,
15Daß die Natur sie dazu bilden wollen,
16Daß wir des Schöpfers Wunder-Macht,
17Auch in derselben Farben-Pracht,
18In unsrer Lust betrachten sollen.

19Wer wird der Farben Meng’ und ihre Schönheit nennen,
20Erzehlen und beschreiben können,
21Mit welcher die Natur die kleinen Thierchen schmückt?
22Wie mancherley hab ich mit innigem Vergnügen,
23Nur bloß an Fliegen einst erblickt!
24Woran die Farben sich recht wunderbarlich fügen,
25Braun, gelblich, röthlich, schwartz und grau,
26Grün, roth, gelb, hell-und dunckel-blau,
27Bald Gold mit grün, bald Gold mit roth, gemenget;
28Bald ist der Flügel künstlichs Paar
29Wie ein Crystall so weiß, so klar;
30Bald sind auch die gefärbt und bunt gesprenget.
31Bald scheinet sich in ihrer Flügel Glantz
32Der bunten Jris halber Crantz
33In schön gemischten Schmuck zu bilden.
34Bey diesem ist der Leib, bey dem die Flügel, gülden.
35Durchsichtig sind sie bald, bald wiederscheinend bunt;
36Bald haben rothe blau-, bald grüne rothe Köpfe;
37Bald sind die Köpfchen platt, bald sind sie lang, bald rund:
38Es zieren selbige bald kleine schwartze Zöpfe,
39Bald Hörnerchen, die eingekerbt und bunt.

40Wie lieblich sieht es aus, wann schlancke Grase-Metzen,
41Die blauer noch, als ein Türckis, gemahlet,
42Auf Blättern, die Smaragd an grünem Glantze gleich,
43Auf Blättern, welche hier beschattet, dort bestrahlet,
44Bald sanfte schweben, bald sich setzen!
45Kein schöner Schmeltz ist in der Welt,
46Als den der blaue Glantz, vom schwartzen noch erhoben,
47An diesem Thierchen uns vor Augen stellt.
48Hier glühen, auf dem holden Grünen,
49Die Sonnen-Kinderchen, wie lebende Rubinen.
50Dort blitzt, auf weisser Bluhmen Zier,
51Ein gleichfalls lebender Sapphir,
52Ein Würmchen, dessen Blau fast wie der Himmel scheinet.

53Wie manche Art von Wespen und von Bienen
54Erblicket man in dem beblühmten Grünen!
55Die Hummel fliegt mit brummen hin und her;
56Jhr Cörper scheinet in sich schwer,
57Als wenn er in der Luft ein kleiner Vär
58Mit Flügeln wär.

59Noch mehr: Man siehet offt an einer Rosen hangen
60Fast aller Edelsteine prangen,
61Jm Mayen-Käferchen vereint.
62Sprecht, ob die spielenden Opalen
63Veränderlicher strahlen.

64Wer muß sich nicht recht inniglich ergetzen,
65Und in der Lust sich nicht zugleich entsetzen,
66Wann er das Heer der bunten Schmetterlinge
67Besieht, und ihren Putz erweget?
68Es sind wahrhaftig Wunder-Dinge
69Den bunten Flügeln eingeprägt.
70Man wird mit grossem Rechte können
71Sie fliegende lebendge Bluhmen nennen.
72Man theilet sie, nicht unrecht, insgemein
73In Nacht-und Tage-Eulchen ein,
74Die alle wunderlich formiret,
75Die alle wunderlich gezieret:
76Damit so gar des Nachts die Luft nicht leer
77Von Göttlichen Geschöpfen wär.
78Man kann der Farben Unterscheid,
79Man kann der Bildung Nettigkeit,
80Aus welcher sie bestehn,
81So wenig, als die Zäser, zehlen.

82Dieß Wunder der Natur hab’ ich erstaunt gesehn
83In Vincentz Cabinet, in Holland, wo die Pracht,
84Die GOTT so gar im Ungezieffer macht,
85Aus Ost und West zu Hauff gebracht,
86Uns einen Schatz, der nicht zu schätzen, zeiget.

87Jmgleichen zeigt das Schatz-Haus der Natur
88In Hamburg, (ich versteh, Du grosser Bürgermeister,
89Berühmter
90Auf welche Weise weise Geister,
91Wenn sie auf
92Geschickt sind, gleichsam sich zum HERRN der Creatur,
93Auf bunten Flügeln zu erheben.
94Indem sie, da sie sich, durchs Werck, zum Schöpfer
95Den, Der unendlich groß, auch in den kleinsten Dingen,
96Wenn sie dieselbigen mit Lust besehn, besingen,
97Und Jhm, in ihrer Lust, ein Liebes-Opfer bringen.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Barthold Heinrich Brockes (1680-1747)

* 09/22/1680 in Hamburg, † 01/16/1747 in Hamburg

männlich, geb. Brockes

deutscher Schriftsteller

(Aus: Wikidata.org)

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