Heinrich Heine: ViII. Sturm (1827)

1Es wüthet der Sturm,
2Und er peitscht die Well'n,
3Und die Wellen, wuthschäumend und bäumend,
4Thürmen sich auf, und es wogen lebendig
5Die weißen Wasserberge,
6Und das Schifflein erklimmt sie
7Hastig mühsam,
8Und plötzlich stürzt es hinab
9In schwarze, weitgähnende Fluthabgründe —

10O Meer!
11Mutter der Schönheit, der Schaumentstiegenen!
12Großmutter der Liebe! schone meiner!
13Schon flattert, leichenwitternd,
14Die weiße, gespenstische Möve,
15Und wetzt an dem Mastbaum den Schnabel
16Und lechzt, voll Fraßbegier, nach dem Mund,
17Der vom Ruhm deiner Tochter ertönt,

18Und lechzt nach dem Herzen,
19Das dein Enkel, der kleine Schalk,
20Zum Spielzeug erwählt.

21Vergebens mein Bitten und Flehn!
22Mein Rufen verhallt im tosenden Sturm,
23Im Schlachtlärm der Winde;
24Es braußt und pfeift und prasselt und heult,
25Wie ein Tollhaus von Tönen!
26Und zwischendurch hör' ich vernehmbar
27Lockende Harfenlaute,
28Sehnsuchtwilden Gesang,
29Seelenschmelzend und seelenzerreißend,
30Und ich erkenne die Stimme.

31Fern an schottischer Felsenküste,
32Wo das graue Schlößlein hinausragt
33Ueber die brandende See,
34Dort am hochgewölbten Fenster,
35Steht eine schöne, kranke Frau,
36Zartdurchsichtig und marmorblaß,
37Und sie spielt die Harfe und singt,
38Und der Wind durchwühlt ihre langen Locken,
39Und trägt ihr dunkles Lied
40Ueber das weite, stürmende Meer.

(Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Heinrich Heine (1797-1856)

* 12/13/1797 in Düsseldorf, † 02/17/1856 in Paris

männlich, geb. Heine

- Bleivergiftung

deutscher Dichter und Publizist

(Aus: Wikidata.org)

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