1Man siehet, wenn zur Winters-Zeit,
2Der Erdenball mit Schnee bestreut,
3Wie sich die Jugend dran vergnüget,
4Und auf den Gassen häufig lieget.
5Sie scheuen Frost und Kälte nicht,
6Wenn ihnen gleich das Sonnenlicht
7Nicht scheint; ihr innres Feur vergehet,
8Vornemlich wenn der Nord recht wehet:
9Und dennoch spielen sie im Schnee,
10Bis endlich ein recht krimmelnd Weh,
11Durch ihre kalte Finger schleichet,
12Und das noch feurge Herz erweichet.
13Vornemlich ist es lustig schön,
14An einem Berge anzusehn,
15All wo der Schnee wenn er nicht schmelzet,
16Jm Rollen leicht wird aufgewelzet.
17Da rollen sie von einem Ort,
18Den kleinen Klump stets weiter fort,
19Und in dem fortgewelzten Wallen,
20Vergrössert sich des Schnees Ballen;
21Ich sahe einstens dies Gewühl,
22Mit Lust an, als ein Kinderspiel:
23Und dachte: was kan nicht entstehen,
24Wenn Dinge immer weiter gehen.
25Dies Kinderspiel, das stellte mir,
26Manch Lehrbild im Gedanken für:
27Ich konnte an dem klebricht Wesen
28Des Schnees, diese Warheit lesen:
29Ein Ding von einer gleichen Art,
30Wird mit dem andern leicht verpaart;
31Es wachsen leicht die losen Hauffen,
32Die eh mans meint, zusammen lauffen.
33Ein Mensch der zieht den andern an,
34Auf einer schlüpfeig glatten Bahn:
35Und kaum wird einer da erblikker,
36So wird er auch so gleich bestrikker.
37Die Kinder rollten in dem Lauf,
38Den Schneeball immer grösser auf;
39Ich dachte:
40Die immer neuen Zuwachs kriegen,
41Je weiter man durch das Gerücht,
42Von einer falschen Sache spricht;
43Je mehr wird sie mit Schein verbessert,
44Und fast von Mund zu Mund vergrössert.
45Der Klumpe ward zulezt sehr groß,
46Und ein recht ungeheurer Klos,
47Er wolte endlich nicht mehr wandern:
48Drum rief ein Knabe zu dem andern,
49Komm hilf mir daß er komm zum Lauf,
50So thürmt sich ein Gebürge auf.
51Er kam, sie stiessen alle Beide,
52Jedoch es ward die eitle Freude,
53Durch einem Zufal drauf gestöhrt.
54Die Lust in Weinen bald verkehrt.
55Indem sie solchen stärker rollten,
56Jhn mit Gewalt fortwelzen wollten:
57So wurde einer übermant,
58Er fiel, verrenkte seine Hand,
59Er schrie mit jammervollen Thränen,
60Bei dem mit Schmerz verrükten Sehnen:
61O! weh, o! weh, daß
62Mein Arm, mein Arm, mein Arm, mein Arm.
63So gehts, dacht ich in meiner Seelen,
64Den Lästrern auch, bei dem Erzählen
65Der Lügen, da des Nächsten Fall,
66Sie bringt in Angst, in Noth und
Qual.
67Sie wollen andre gerne fällen,
68Sind eins mit ihren Rottgesellen.
69Sie sagen was der andre sagt,
70Doch wenn sie es zuviel gewagt:
71So kommt die Straffe hergelauffen,
72Und schmeist die Lügner übern Hauffen.
73Jhr Kinder traut den Schneeball nicht,
74Jhr Alten last kein falsch Gerücht,
75Durch eure Zunge weiter gehen,
76Es kan daraus eur Schad entstehen.
77Der Schneeklump ward nicht mehr gewelzt,
78Er wurde durch die Sonn zerschmelzt:
79Und so gehts auch:
80Besteht nicht bei der Warheit Lichte.