Eduard Mörike: Josephine (1838)

1Glomm wunderbar im süßen Weihrauchscheine;
2Der Priester schwieg; nun brauste die Musik
3Vom Chor herab zur Tiefe der Gemeine.
4So stürzt ein sonnetrunkner Aar
5Vom Himmel sich mit herrlichem Gefieder,
6So läßt Jehovens Mantel unsichtbar
7Sich stürmend aus den Wolken nieder.

8Dazwischen hört' ich eine Stimme wehen,
9Die sanft den Sturm der Chöre unterbrach,
10Sie schmiegte sich mit schwesterlichem Flehen
11Dem süß verwandten Ton der Flöte nach.

12Wer ist's, der diese Himmelsklänge schickt?
13Das Mädchen dort, das so bescheiden blickt.
14Ich eile sachte auf die Galerie,
15Zwar klopft mein Herz, doch tret' ich hinter sie.

16Hier konnt' ich denn in unschuldvoller Lust
17Mit leiser Hand ihr festlich Kleid berühren,
18Ich konnte still, ihr selber unbewußt,
19Die nahe Regung ihres Wesens spüren.

20Doch, welch ein Blick und welche Miene,
21Als ich das Wort nun endlich nahm,
22Und nun der Name Josephine
23Mir herzlich auf die Lippen kam!
24Welch zages Spiel die braunen Augen hatten!
25Wie barg sich unterm tiefgesenkten Schatten
26Der Wimper gern die ros'ge Schaam!

27Und wie der Mund, der eben im Gesang
28Die Gottheit noch auf seiner Schwelle hegte,
29Sich von der Töne heil'gem Ueberschwang
30Zu mir mit schlichter Rede herbewegte!

31O dieser Ton, — ich fühlt' es nur zu bald,
32Schlich sich in's Herz und macht es tief erkranken;
33Ich stehe wie ein Träumer in Gedanken,
34Indeß die Orgel nun verhallt,
35Die Sängerin vorüberwallt,
36Die Kirche aufbricht und die Kerzen wanken.

(Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Eduard Mörike (1804-1875)

* 09/08/1804 in Ludwigsburg, † 06/04/1875 in Stuttgart

männlich, geb. Mörike

deutscher Lyriker der Schwäbischen Schule, Erzähler und Übersetzer

(Aus: Wikidata.org)

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