Clemens Brentano: Ritter St . Georg (1806)

1In einem See sehr groß und tief,
2Ein böser Drach sich sehen ließ.

3Dem ganzen Land er Schrecken bringt,
4Viel Menschen und viel Vieh verschlingt,

5Und mit des Rachens bösem Duft
6Vergiftet er ringsum die Luft.

7Daß er nicht dringe zu der Stadt,
8Beschloß man in gemeinem Rath,

9Zwey Schaaf zu geben alle Tag,
10Um abzuwenden diese Plag.

11Und da die Schaaf schier all dahin,
12Erdachten sie noch andern Sinn,

13Zu geben einen Menschen dar,
14Der durch das Loos gewählet war.

15Das Loos ging um so lang und viel,
16Bis es aufs Königs-Tochter fiel.

17Der König sprach zu'n Burgern gleich:
18„nehmt hin mein halbes Königreich!

19„ich gebe auch an Gut und Gold,
20„von Silber und Geld so viel ihr wollt,

21„auf daß mein Tochter, die einig Erb,
22„noch lebe, nicht so böß verderb.“

23Das Volk ein groß Geschrey beginnt:
24„einem andern ist auch lieb sein Kind!

25„hältst du mit deiner Tochter nicht
26„den Schluß, den du selbst aufgericht,

27„so brennen wir dich zu der Stund
28„sammt deinem Pallast auf den Grund.“

29Da nun der König Ernst ersah,
30Ganz leidig er zu ihnen sprach:

31„so gebet mir doch nur acht Tag,
32„daß ich der Tochter Leid beklag.“

33Darnach sprach er zur Tochter sein:
34„ach Tochter, liebste Tochter mein!

35„so muß ich dich jetzt sterben sehn,
36„und all mein Tag in Trauren stehn.“

37Da nun die Zeit verschwunden war,
38Lauft bald das Volk zum Pallast dar,

39Und drohet ihm mit Schwerdt und Feuer,
40Sie schrien hinauf gar ungeheuer:

41„willst du um deiner Tochter Leben,
42„dein ganzes Volk dem Drachen geben?“

43Da es nicht anders möcht gesein,
44Gab er zuletzt den Willen drein.

45Er kleidet sie in königlich Wat,
46Mit Weinen und Klagen er sie umfaht.

47Er sprach: „Ach weh mir armen Mann!
48„was soll ich jetzund fangen an?

49„die Hochzeit dein war ich bedacht
50„zu halten bald mit herrlicher Pracht,

51„mit Trommeln und mit Saitenspiel,
52„zu haben Lust und Freuden viel.

53„so muß ich mich nun dein verwegen,
54„und dich dem grausen Drachen geben.

55„ach Gott, daß ich vor dir wär todt,
56„daß ich nicht seh dein Blut so roth.“

57Er gab ihr weinend manchen Kuß,
58Sein Töchterlein fiel ihm zu Fuß:

59„lebt wohl, lebt wohl Herr Vater mein!
60„gern sterb ich um des Volkes Pein.“

61Der König schied mit Ach und Weh,
62Man führt sein Kind zum Drachensee.

63Als sie da saß in Trauren schwer,
64Da ritt der Ritter Georg daher.

65„o Jungfrau zart! gieb mir Bescheid,
66„warum stehst du in solchem Leid?“

67Die Jungfrau sprach: „Flieh bald von hier!
68„daß du nicht sterben mußt mit mir.“

69Er sprach: „O Jungfrau fürcht dich nicht,
70„vielmehr mit Kurzem mich bericht,

71„was deuts, daß ihr allein da weint,
72„ein großes Volk herum erscheint?“

73Die Jungfrau sprach: „Ich merk ohn Scherz,
74„ihr habt ein mannlichs Ritter Herz;

75„was wollt ihr hier verderben,
76„und mit mir schändlich sterben.“

77Dann sagt sie ihm, wie hart und schwer,
78Wie alle Sach ergangen wär.

79Da sprach der edle Ritter gut:
80„getröstet seyd, habt freien Muth!

81„ich will durch Hülf von Gottes Sohn,
82„euch ritterlichen Beistand thun.“

83Er bleibet fest, sie warnt ihn sehr,
84Da kam der greuliche Drach daher.

85„flieht Ritter! schont das junge Leben,
86„ihr müßt sonst euren Leib drum geben.“

87Der Ritter sitzt geschwind zu Roß,
88Und eilet zu dem Drachen groß.

89Das heilige Kreuz macht er vor sich,
90Gar christenlich und ritterlich,

91Dann rannt er an mit seinem Spieß,
92Den er tief in den Drachen stieß,

93Daß gähling er zur Erden sank,
94Und saget Gott dem Herren Dank.

95Da sprach er zu der Jungfrau zart:
96„der Drache läßt von seiner Art.

97„drum fürcht euch gar nicht dieses Falls,
98„legt euren Gürtel ihm um den Hals.“

99Als sie das thät, ging er zu Stund,
100Mit ihm wie ein gezähmter Hund.

101Er führt ihn so zur Stadt hinein,
102Da flohen vor ihm groß und klein.

103Der Ritter winket ihnen, sprach:
104„bleibt hie und fürchtet kein Ungemach.

105„ich bin darum zu euch gesendt,
106„daß ihr den wahren Gott erkennt.

107„wann ihr euch dann wollt taufen lahn,
108„und Christi Glauben nehmen an,

109„so schlag ich diesen Drachen todt,
110„helf euch damit aus aller Noth.“

111Alsbald kam da durch Gottes Kraft:
112Zur Tauf die ganze Heidenschaft.

113Da zog der Ritter aus sein Schwerdt,
114Und schlug den Drachen zu der Erd.

115Der König bot dem heilgen Mann
116Viel Silber und Gold zu Ehren an,

117Das schlug der Ritter alles aus,
118Man solls den Armen theilen aus.

119Als er nun schier wollt ziehen ab,
120Die Lehr er noch dem König gab:

121„die Kirche Gottes des Herren dein,
122„laß dir allzeit befohlen seyn.“

123Der König baute auch mit Fleiß,
124Der Mutter Gottes zu Lob und Preis,

125Eine Kirche schön und herrlich groß,
126Aus der ein kleiner Brunn herfloß..

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Clemens Brentano (1778-1842)

* 09/08/1778 in Koblenz-Ehrenbreitstein, † 07/28/1842 in Aschaffenburg

männlich, geb. Brentano

deutscher Schriftsteller

(Aus: Wikidata.org)

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