1Ins letzte Stockwerk einer Miethskaserne;
2Hier hält der Nordwind sich am liebsten auf
3Und durch das Dachwerk schaun des Himmels Sterne.
4Was sie erspähn, o, es ist grad genug,
5Um mit dem Elend brüderlich zu weinen:
6Ein Stückchen Schwarzbrod und ein Wasserkrug,
7Ein Werktisch und ein Schemel mit drei Beinen.
8Das Fenster ist vernagelt durch ein Brett
9Und doch durchpfeift der Wind es hin und wieder
10Und dort auf jenem strohgestopften Bett
11Liegt fieberkrank ein junges Weib darnieder.
12Drei kleine Kinder stehn um sie herum,
13Die stieren Blicks an ihren Zügen hangen,
14Vor vielem Weinen ward ihr Mündlein stumm
15Und keine Thräne mehr netzt ihre Wangen.
16Ein Stümpfchen Talglicht giebt nur trüben Schein,
17Doch horch, es klopft, was mag das nur bedeuten?
18Es klopft und durch die Thür tritt nun herein
19Ein junger Herr, geführt von Nachbarsleuten.
20Der Armenhilfsarzt ist's aus dem Revier,
21Den sie geholt aus Mitleid mit der Kranken,
22Indeß ihr Mann bei Branntwein oder Bier
23Sich selbst betäubt und seine Wuthgedanken.
24Der junge Doctor aber nimmt das Licht
25Und tritt mit ihm ans Bett des armen Weibes,
26Doch gelb wie Wachs und spitz ist ihr Gesicht
27Und kalt und starr die Glieder ihres Leibes.
28Da schluchzt sein Herz, indeß das Licht verkohlt,
29Von nie gekannter Wehmuth überschlichen:
30Weint, Kinder, weint! ich bin zu spät geholt,
31Denn eure Mutter ist bereits — verblichen!