1Als wäre nichts geschehn,
2Still mit dem Glockenschlag
3An seine Arbeit gehn;
4Das Halstuch roth wie Blut,
5Von Locken wirr umflogen,
6Den Kalabreserhut
7Tief in die Stirn gezogen.
8Ein jeder Zoll Genie,
9Ein Volksmann, ein Poet,
10Scheint er mir öfters, wie
11Ein biblischer Prophet.
12Das ganze Viertel kennt
13Und ehrt in ihm den Führer,
14Der oft im Parlament
15Auftrat, ein wilder Schürer.
16Weh, jeder Tyrannei,
17Wenn er bis Mitternacht
18Am Pult der Druckerei
19Geschrieben und gedacht!
20Wem seine Blitze sprühn,
21Vergißt das Athemholen,
22Denn seine Worte glühn
23Im Hirn wie rothe Kohlen.
24Ein rechter Proletar!
25Ein wahres Zorngedicht!
26Wer seine Mutter war?
27Er weiß es selber nicht!
28Vielleicht ein Kind der Lust,
29Das, weil die Noth es taufte,
30Das Herz aus seiner Brust
31Um schnödes Gold verkaufte.
32Vielleicht auch nur, ja
33Ein Weib in Goldbrokat,
34Das trotz Moraldressur
35In eine Pfütze trat.
36Vielleicht liegt sie schon todt
37In einer eklen Gosse,
38Vielleicht bespritzt mit Koth
39Ihn ihre Staatskarosse.
40Ein armes Findelkind,
41Im ersten Morgengrau,
42Umweht vom Winterwind,
43Fand ihn die Zeitungsfrau.
44Er that's ihr lächelnd an,
45Der rosige Rebeller,
46Und auf nahm ihn ihr Mann
47In seinen Schusterkeller.
48Hier wuchs er in die Welt,
49Ein Bursch mit blondem Haar,
50Sein einzig Tummelfeld
51Das Großstadt-Trottoir.
52Wohl schwoll der Stiefelkram,
53Doch auch das Taufregister,
54Und nach und nach bekam
55Er sieben Milchgeschwister.
56Und knapper ward das Brot,
57Der Junge mußte „ran“!
58Und bleich im Dienst der Noth
59Hub nun sein Elend an.
60Er stand im Setzersaal,
61Die Hand am Letternkasten,
62Und half das Volksjournal
63Des Nachts zusammenhasten.
64Die Uhr vom Thurm her klang
65Wie tief in eine Gruft,
66Ein fetter Oelgestank
67Schwamm ranzig durch die Luft.
68Man hörte wie im Traum
69Die Winkelhaken klirren
70Und im Maschinenraum
71Die Lederriemen schwirren.
72Um ging von Hand zu Hand
73Ein Bräu aus Schnaps und Bier,
74Als Etiquett drauf stand:
75Gesundheits-Elixir!
76In schmutzgen Zoten sprach
77Frech das Maschinenmädel,
78Das Gaslicht aber stach
79Ihm grell auf seinen Schädel.
80Er aber: Griff auf Griff
81That er mit düsterm Blick,
82Durchs offne Fenster pfiff
83Der Wind ihm ins Genick.
84Er strich um ihn herum
85Und blies ihm in die Ohren:
86„so recht! So recht! Warum
87Bist du nicht „hoch“ geboren?
88Warum beim Stümpfchen Talg
89Hat dich das Glück geheckt
90Und nicht als Wechselbalg
91In Eiderdun gesteckt?
92Dann stündest du nicht hier,
93Behängt mit schmutzgen Lappen,
94Dann wärst du auch kein Thier
95Und pochtest auf dein Wappen.
96Du wärst auch nicht wie nun
97An Leib und Seele krank,
98Du brauchtest nichts zu thun
99Und sagtest: Gottseidank!
100Auch hättest du dann Geld,
101Wie Rothschild ganze Frachten,
102Und könntest diese Welt
103Noch mehr als jetzt verachten!“
104So stand er düster da
105Und rang mit seinem Groll
106Und sein College sah,
107Wie ihm die Ader schwoll.
108Zu tief saß es, zu tief,
109Er grollte, sann und dachte,
110Bis sie, die in ihm schlief,
111Die Urkraft, jäh erwachte.
112Und heiß ins Hirn empor
113Kam ihm das Blut gespritzt,
114Wie wenn ein Meteor
115Nachts durch den Himmel blitzt.
116Denn plötzlich riesengroß
117Sah er ein Schreckbild thronen —
118Es war sein eigen Loos,
119Das Loos von Millionen!
120Da, deutlich, schwarz auf weiß,
121Stand's da und sah ihn an,
122Daß ihm das Blut wie Eis
123Kalt durch die Adern rann.
124Es war nur ein Fragment,
125Ein abgerissner Fetzen,
126Ein neustes Testament,
127Und er, er sollt es setzen!
128„ein armer Bettler kroch
129Vor seines Bruders Haus
130Und bat, o reich mir doch
131Ein Stückchen Brot heraus!
132Vor meinen Augen flirrt's,
133Ich habe nichts zu essen,
134Der liebe Herrgott wird's
135Dir sicher nicht vergessen!
136Sein Bruder aber schrie
137Und strich sein Doppelkinn:
138Was willst du, tolles Vieh?
139Scheer dich wo anders hin!
140Das sauft nur immer Wein
141Und ekelt sich vor Wasser —
142Da hier, friß diesen Stein ...
143Doch, sag ‚Schöndank!‘ du Prasser!
144Da schrie der Aermste auf,
145Zu teuflisch war der Hohn,
146Und eine Stunde drauf
147Lag er im Wasser schon.
148Derweil nach dem Diner
149Hielt lammfromm vor dem Städtchen
150Sein Bruder, Herr
151Sein Mittagspromenädchen!“
152O, nun zum ersten Mal
153Verstand er Wort für Wort,
154Fürs Volk war das Journal
155Und dies war ja ein Mord!
156Es war ein Mord und mehr,
157Es war die alte Fabel,
158Wie einst — o lang ist's her —
159Der Kain schlug den Abel!
160Mit Augen, thränenroth,
161Verschlang er, was er las,
162Bis knöchern ihm der Tod
163Im weichen Herzen saß.
164Den Otternkranz im Haar,
165Umtanzten ihn die Furien,
166So sinnverwirrend war
167Kein Zerrbild aus Lemurien!
168Und tage- wochenlang
169Lief er umher wie wild,
170In seine Träume schlang
171Sich jenes wüste Bild.
172Er sah es riesengroß
173In jedem Winkel thronen,
174War's doch sein eigen Loos,
175Das Loos von Millionen!
176In Stoppeln stand sein Bart,
177Sein Herz war wie verdorrt,
178Er — lachte nur und ward
179Ein Anderer hinfort!
180Sein Weichmuth biß ins Gras,
181Ihn kniff's wie eine Zange
182Und hochauf schwoll sein Haß
183Wie eine Tigerschlange.
184Da winkte wie ein Ziel
185Ihm fern ein goldner Schein
186Und mehr als einmal fiel
187Ihm der Messias ein.
188Er grübelte und sah:
189Noch wird das Volk geknutet,
190Das Herz von Golgatha
191Hat sich umsonst verblutet!
192Nun sprach das Ideal
193Ihm tief zu Herz und Hirn,
194Sein blutig Kainsmal
195Stand roth auf seiner Stirn.
196Er floh das Volksgewühl
197Und schlief nur wenig Stunden
198Und ließ dann sein Gefühl
199Sich zu Gedanken runden:
200„ein Fluch auf diese Zeit!
201Was grad wuchs, biegt sie krumm!
202Mein Herzblut aber schreit:
203Warum, o Gott, warum?
204Wozu denn Herr und Knecht?
205Was arm, was reich auf Erden?
206Für das zertretne Recht
207Will ich der Anwalt werden!
208Drum her, o her zu mir,
209Die ihr beladen seid!
210Mein Reich ist ja von hier!
211Mein Reich ist diese Zeit!
212Ihr, die hier wild in sich
213Den Schrei der Wuth ersticken,
214Kommt alle her, denn ich,
215Ja ich will euch erquicken!
216Ich will ins Morgenroth
217Der nahen Zukunft sehn
218Und euer Schrei nach Brot
219Wird in Erfüllung gehn.
220Der Knechtschaft Dorngesträuch,
221Mein Schwert soll es zerkrachen,
222Ich will aus Sklaven euch
223Zu freien Menschen machen!
224Ihr aber, die ihr faul
225Auf euerm Geldsack sitzt,
226Indeß das Volk, der Gaul,
227Vor euerm Karren schwitzt:
228Laßt euern Wanst gedeihn,
229Laßt eure Hunde bellen,
230Ich werde „Feuer!“ schrein,
231Bis euch die Ohren gellen!
232Ich stoße von dem Thron
233Das Wörtchen „mein und dein“,
234Das brave Volk wird schon
235Auf seinem Posten sein.
236Drum tanzt nur! Der Vulkan
237Wird bald in Feuer kreißen,
238Dann wird es Zahn um Zahn
239Und Aug um Auge heißen!“
240Was er nur halb durchdacht,
241Er rief es wildverstört,
242Und manche stille Nacht
243Hat seinen Fluch gehört.
244Die Furcht vor Gold und Rang
245Verschwur er hoch und theuer,
246Ein wilder Wissensdrang
247Rann ihm durchs Hirn wie Feuer.
248Wohl stand er hart in Frohn,
249Ein armer Proletar,
250Doch blieb sein halber Lohn
251Beim Bücher-Antiquar.
252An jedem Wahltag strich
253Er ruhlos um die Thüren
254Und haschte Zettel sich,
255Flugblätter und Broschüren.
256Schlug ihm das Herz so warm,
257Und unverstanden blieb
258Ihm sein Collegenschwarm.
259Wenn der in Saus und Braus
260Sich Sonntags amüsirte,
261Dann saß er still zu Haus
262Am Werktisch und studirte.
263Die Schusterkugel warf
264Aufs Buch ihr Licht herab
265Und seitlich hub sich scharf
266Sein schwarzer Schatten ab.
267Man sah ihn, wenn er kroch,
268Bis an die Decke schwanken,
269Doch höher reichten noch
270Des Schwärmers Traumgedanken.
271Er träumte, seine Saat
272Ging auf im Zeitverlauf
273Und schon schloß ein Mandat
274Ihm auch den Reichstag auf.
275Sein Wort flog wie ein Ball,
276Er stand auf der Tribüne,
277Halb Rousseau, halb Lassalle,
278Und sprach von Schuld und Sühne.
279Er sprach, und wenn er schwieg,
280Klang's linksher wie Hurrah,
281Denn hüben war's ein Sieg
282Und drüben ein Eclat.
283Und flog's dann durch das Land,
284Wo heiße Stirnen tropften,
285Dann gab man sich die Hand
286Und tausend Herzen klopften.
287Und wieder schlugs ihm dann
288Vertrauter ans Gehör,
289Er war ein schlichter Mann,
290Ein Zeitungsredakteur.
291Er saß am Pult und schrieb,
292Es waren große Züge
293Und jeder Satz ein Hieb,
294Ein Hieb ins Herz der Lüge.
295Er schrieb, und lag das Blatt
296Dann auf dem Tisch der Noth,
297Dann war die Armuth satt
298Und schrie nicht mehr nach Brot.
299Ein Balsam war sein Wort,
300Es stand ein Held auf Wache
301Und war ein rechter Hort
302Für jede gute Sache.
303Die Hände vorm Gesicht,
304So saß er träumend da,
305Bis bleich das Morgenlicht
306Durchs Kellerfenster sah.
307Dann, müd und überwacht,
308Ging's in die neue Woche —
309O, er war Tag und Nacht
310Ein Pegasus im Joche!
311So rollte abgrundwärts
312Von dannen Jahr um Jahr
313Und heller ward sein Herz
314Und dunkler ward sein Haar.
315Wie Chopins Melodien,
316Es war nicht zu verkennen,
317In seinen Augen schien
318Ein blauer Stern zu brennen.
319Er stand nicht mehr bestaubt
320Am Werktisch um Gewinnst,
321Das Glück wob ihm ums Haupt
322Sein lichtes Goldgespinnst.
323Erschallen ließ er frank,
324Ein Herold, seine Rufe
325Und jubelte und schwang
326Von Stufe sich zu Stufe.
327Er flehte: Herz, sei hart
328Und rühr's nicht an, das Gold!
329Bis er es endlich ward,
330Was er so heiß gewollt.
331O, nur ein Mann, ein Wort,
332Ein Volkssoldat auf Wache,
333Ein echter, rechter Hort
334Für jede gute Sache!
335Sein Bild hängt nun bekränzt
336Die Noth an ihre Wand,
337Auf seinem Haupt erglänzt
338Des Freimuths Krondemant.
339Sein Wort klirrt wie von Erz
340Und nennst du seinen Namen,
341Dann schlägt dem Volk das Herz
342Und heimlich spricht es: Amen!
343An seinen Werken schweißt
344Das ringende Geschlecht,
345Sein Wahlspruch aber heißt:
346Die Freiheit und das Recht!
347So kämpft als Paladin
348Der Schusterssohn von weiland
349Und alles schaut auf ihn,
350Wie auf den neuen Heiland.
351Doch stößt ein Volkstribun
352Allorts auf einen Stein,
353Kein Wunder drum, wenn nun
354Auch viele „Kreuzigt!“ schrein.
355Dies Wort war ja von je
356Ein gute Wehr und Waffen —
357So lehrt's das
358Der Junker und der Pfaffen!
359Das Volk, hat's ein Idol,
360Dann will's zum Brot auch Salz;
361Die Herren wissen wohl,
362Es geht an ihren Hals!
363Drum zetern sie: Er ist
364Ein Teufelsflammenschürer,
365Ein wilder Antichrist,
366Ein schlauer Volksverführer!
367Er aber lacht sie aus,
368Er weiß, der Sieg ist sein;
369Und treiben sie's zu kraus,
370Dann donnert er darein:
371„ja, tanzt nur! Der Vulkan
372Wird bald in Feuer kreißen,
373Dann wird es Zahn um Zahn
374Und Aug um Auge heißen!“
375So klingt — bald Moll, bald Dur —
376Sein großes Tongedicht;
377Ob er ein Schwärmer nur?
378Je nun, ich glaub es nicht!
379Ein rechter Demokrat
380Grollt auch im Festungsgraben,
381Zu einem Mann der That
382Scheint er das Zeug zu haben.
383Einstweilen stürzt sein Zorn
384Ihn noch nicht in den Streit;
385Er freut sich, wie das Korn,
386Das er gesät, gedeiht.
387Schon kann er's hoch und dicht
388Mit beiden Händen greifen,
389Doch noch ist's Austtag nicht,
390Er läßt es reifen, reifen ....
391Ich seh ihn Tag für Tag,
392Als wäre nichts geschehn,
393Still mit dem Glockenschlag
394An seine Arbeit gehn;
395Das Halstuch roth wie Blut,
396Von Locken wirr umflogen,
397Den Kalabreserhut
398Tief in die Stirn gezogen.