Conrad Ferdinand Meyer: Conquistadores (1882)

1Zwei edle Spanier halten Wacht
2Und einer spricht zum andern:
3„señor, mir däucht, der Teufel lacht,
4Wie wir ins Leere wandern!
5Das Segel rauscht, es rauscht der Kiel,
6Noch keines Strandes Boten —
7Die Hölle treibt mit uns ihr Spiel,
8Wir wandern zu den Todten!

9Wer einem Genuesen traut,
10Hat den Verstand verloren!
11Die Klugen hat er schlecht erbaut,
12Doch lockt er alle Thoren —
13Rund sei die Erde, log er mir,
14Wie Pomeranzenbälle,
15Doch unermeßlich fluthet hier
16Nur Welle hinter Welle!“

17Der Andre blickt ins Meer hinaus
18Und runzelt finstre Brauen:
19„señor, mich zog Columb ins Haus,
20Ließ mich die Karten schauen,
21Was er docirt', verstand ich nicht,
22Ich ließ es alles gelten —
23Sein übermächtig Angesicht
24Verhieß mir neue Welten!

25Betrog er sich und haben wir
26Uns in das Nichts verlaufen,
27Ein räud'ger Hund, Seor, wie Ihr
28Darf fröhlich mit ersaufen!“
29— „Seor, da betet Ihr nicht gut!
30Zurück Euch in den Rachen
31Den räud'gen Hund! Ihr raucht von Blut
32Und Ihr entsprangt den Wachen!“

33„seor, ich dolcht' ein falsches Weib,
34Bekenn' ich unverhohlen!
35Nicht hab' dem Bäcker einen Laib
36Vom Bret ich weggestohlen!
37Seor, Ihr seid ein Galgenstrick!“
38— „Seor, Ihr seid nicht besser!“
39Sie ziehen mit entflammtem Blick
40Und kreuzen blanke Messer ...

41Da zwischen ihre Messer walzt
42In tollem Freudensprunge,
43Mit ölgetränkten Fingern schnalzt
44Miguel, der Küchenjunge.
45Er drückt die Lider blinzelnd ein
46Mit schlauem Wimperzwinken,
47Bald hüpft er auf dem rechten Bein,
48Bald hopst er auf dem linken,

49In Lüften bläht sich sein Gewand,
50Es puffen ihm die Hosen —
51Neugierig kommen hergerannt
52Soldaten und Matrosen.
53Der Junge redet kunterbunt,
54Als ob's im Kopf ihm fehle,
55Dann öffnet er den großen Mund
56Und singt aus voller Kehle:

57„das Heimchen zirpt, das Heimchen zirpt,
58Stimmt Laudes an und Psalmen!
59Und wenn's mir nicht vor Freude stirbt,
60Bald weidet's unter Halmen!
61Ich schwör' es Euch bei Gottes Haupt:
62Es athmet duft'ge Weiden,
63Es wittert Wälder dichtbelaubt
64Und unermessne Haiden!

65Erlauchte Herren, gebet Acht,
66In meinem engen Räumchen
67Hat unsre Meerfahrt mitgemacht
68Ein andalusisch Heimchen —
69Mitnahm ich's aus dem Vaterland,
70Mich scheidend zu beschenken,
71Ich fing's mit flinkem Griff der Hand
72Zu einem Angedenken.

73Da wir zu Schiffe stiegen dort,
74Die Zierden aller Lande,
75Zirpt' Heimchen mir im Busen fort,
76Als weidet's noch am Strande.
77Das grüne Vorgebirg verschwand,
78Dem Heimchen ward es schaurig,
79Beklommen saß es an der Wand
80Und wurde faul und traurig.

81So darbt's und dämmert's langezeit,
82Schon gab ich es verloren,
83Und nun, bei meiner Seligkeit,
84Ist Heimchen neu geboren!
85Bedenkt, es hockte gram und lahm
86An Dielen und an Wänden,
87Jetzt jubelt's wie ein Bräutigam
88Und kann nur gar nicht enden!“

89Miguel ist fort und wieder da,
90Die Fingerspitze zeigend:
91Da sitzt es ja! da singt es ja!
92Die Männer lauschen schweigend —
93Dann sinnen sie der Sache nach,
94Den Lustgesang im Ohre,
95Sie schütteln sich die Hände jach
96Und schrei'n in wildem Chore:

97„das Heimchen zirpt! Das Heimchen zirpt!
98Bald schwelgen wir in Beute!
99Wer spielt, gewinnt! Wer wagt, erwirbt!
100Wir sind gemachte Leute!
101Die Küste winkt! Das Gold erblinkt,
102Davon die Sagen melden!
103Das Morgen steigt! Das Gestern sinkt!
104Wir sind berühmte Helden!“

(Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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