Christian Hofmann von Hofmannswaldau: Die unter dem namen der Sylvia verstorbene und beklagte Jungfer Schultzin (1695)

1Die muntre Sylvia/ ein spiegel seltner tugend/
2Ein auszug der natur/ und bildniß frischer jugend/
3Die noch vor kurtzer zeit in unsrer Nymphen schaar
4Ein prächtiger begriff der schönsten anmuth war.
5Ach unsre Sylvia! die wir zu früh vermissen/
6Wird durch des todes arm ins kalte grab gerissen/
7Und die/ als sonne/ sich erst auffzuklären schien/
8Muß ihrer strahlen gold schon unter wolcken ziehn.
9Sie stirbet: aber wie? im morgen ihrer jahre;
10Ihr braut-bett wird verkehrt in eine todten-bahre/
11Die krone wandelt sich in einen leichen-krantz/
12Das zimmer in den sarg; der hochzeitliche glantz
13In eine dunckle nacht; der schmuck in sterbekittel/
14Das frohe lust-geschrey in lauter klage-tittel;
15Das lachen in ein ach/ das jauchzen in geheul/
16Und bey gemeiner noth trägt iederman sein theil.
17Verworffener aprill! du anfang unsrer plage!
18Dein erster wird/ o leid! zum letzten ihrer tage;
19Dein schein/ der sonsten nichts denn unbestand verspricht/
20Scheint bloß nur wider uns und unsre lust gericht.
21Du bist derselben itzt ein frecher stöhrer worden/
22Und wilt/ was uns ergetzt/ in Sylvien ermorden.
23Du nimmst den sonntag noch dir zum gehülffen ein/
24Und dieser muß zu nechst beym schwartzen sonntag seyn/
25Der doch mit besserm recht ein schwartzer tag zu nennen;
26Denn ieder kan ihn ja an seiner würckung kennen/
27Er ist es/ der uns itzt ein schwartzes leid gebiehrt/
28Der unsern sonnenschein zum schwartzen grabe führt.
29Der durch sein schwartzes bild uns allenthalben schrecket/
30Und so viel klagende in schwartzen flohr verstecket.
31Man sagt/ die sonne selbst hab ihr erblaßt gesicht
32Denselben tag verhüllt/ und sey vor kummer nicht/
33Da unsre sonn entwich/ aus ihrer kammer kommen/
34Und Flora/ da sie hat die trauer-post vernommen/
35Daß Sylvia verfällt im frühling ihrer zeit/
36Und einer blumen gleich vom stocke wird gemeyht.
37Hat sie den gantzen tag die gärten nicht beschicket/
38Und ihre kinder auch in der geburt ersticket/
39Den Hyacinth hat man gantz einsam und verstellt/
40Als eine leiche stehn/ und plötzlich abgefällt/
41Die veilgen aber sich sehr kläglich sehen handeln/
42Und drauff ihr blaues kleid in tunckeln boy verwandeln.
43Die tulpen haben nicht des tages licht gesehn;
44Diß/ und ein mehrers ist um Sylvien geschehn.
45Die blumen wolten selbst die blume dieser zeiten
46Durch ihren eignen tod zur stillen grufft begleiten;
47Heut aber folgt die stadt mit seuffzer-reichem ach/
48Und winselnden gethön der leiche selber nach:
49Der leiche/ die so schön als eine braut gezieret/
50Und mit viel thränen nun zum grabe wird geführet.
51Es ist die letzte pflicht/ die man der sel’gen reicht/
52Der schmertz ist auch zu groß/ dem nichts gemeines gleicht;
53Die wunden aber/ die der tod so tieff geschlagen/
54Kan man/ so sehr man klagt/ doch nicht genung beklagen.
55Ein mensch ist nur ein mensch/ nicht aber stahl und stein/
56Und kan bey solchen riß nicht ohne regung seyn.
57Ja/ da der himmel weint/ da so viel augen weinen/
58Wer wolto doch allein hier ohne thränen scheinen?
59So weine/ wer da kan/ itzt ist es weinens-zeit;
60Man klage/ was man will; wir klagen unser leid.
61Du aber/ seligste/ bist aus der angst gerissen/
62Du legst die krone schon zu deines bräutgams füssen/
63Der sich mit dir als braut in ewigkeit vermählt/
64Die hochzeit ist bereit/ die gäste sind gezählt/
65Die neben GOtt und dir die taffel sollen zieren;
66Die palmen/ die man dich sieht in den händen führen/
67Sind zeichen/ daß du hast den Sieg davon gebracht/
68Da du am palmen-tag der welt gabst gute nacht.
69Zeucht Christus bey uns ein zum creutz und bittern leiden/
70So hältst den einzug du mit jauchtzen und mit freuden
71In ein Jerusalem/ das GOttes hand erbaut/
72Daselbsten siehestu/ was hier kein auge schaut.
73Die engel tragen dir die zweige selbst entgegen/
74Dieselbe vor den stuhl des lammes hinzulegen;
75Der rock der heiligung/ der unschuld reines kleid
76Wird hier nicht auff den weg/ nein! auff dich selbst gebreit;
77Das Hosianna wird von dir gantz rein gesprochen.
78Wir aber leben hier noch in der marter-wochen/
79Da kummer und verdruß die fasten uns bestellt/
80Biß letzt mit uns der tod den stillen freytag hält.
81Ihr/ die ihr dann verletzt/ verbindet eure wunden/
82Weil doch die seligste den port der ruhe funden.
83Wer Christum in der welt in seinem hertzen trägt/
84Mit Christo/ so wie sie wird in das grab gelegt/
85Der muß mit Christo auch einst wieder aufferstehen.
86Was ist es/ daß uns nun durch diesen riß geschehen?
87Denn da die seele lebt in Gottes hand versetzt/
88Ihr angedencken hier in unsre brust geetzt/
89Die Tugend unversehrt/ ihr nachruhm unverdorben/
90So ist sie ja nicht todt; Ihr leib ist nur gestorben/
91Der aber selber auch/ durch ansehn/ zierd und pracht/
92In ihrer schwester sich noch unverweßlich gemacht.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679)

* 01/01/1616 in Breslau, † 04/18/1679 in Breslau

männlich

deutsch-schlesischer Lyriker und Epigrammatiker, Politiker und Diplomat

(Aus: Wikidata.org)

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