Christian Hofmann von Hofmannswaldau: Der Eich-Baum Bey dem Gutsmuthischen Begräb- nisse fürgestellet/ An. 1690. (1695)

1Der geist der poesie hat manches schon erdacht/
2Wenn sie der todten grab mit farben angestrichen/
3Und bald aus ihrem thun granaten-frucht gemacht/
4Bald wieder ihren ruhm mit lorbeern hat verglichen;
5Heut aber fängt mein trieb was ungemeines an/
6Indem ich einen mann/ der voller kern gewesen/
7Der uns mehr nutz und frucht als palmen lassen lesen/
8Und wie ein balsam-baum sich allen auffgethan/
9Den edlen Gutsmuths nur mit einer blossen eichen/
10Nach seinem tode will in dieser schrifft vergleichen.

11Doch denckt nicht/ sterbliche/ daß meiner feder hier
12So krafft als dinte wird zu beyder ruhme fehlen;
13Athen zog eicheln schon dem besten zucker für/
14Und ließ/ wie Spanien/ zu speisen sie erwehlen.
15Die Römer haben nur/ den helden ihrer stadt
16Zu ehren/ einen krantz von eichen-laub erfunden/
17Und Deutschland war so sehr an dieses holtz gebunden/
18Daß man mit anderm nichts vor dem geopffert hat.
19Was kan der selige nun besserm auff der erden/
20Als einer eichen noch zuletzt verglichen werden?

21Sein erster kinder-gang in der verwirrten welt/
22Nahm witz und lehren schon von jungen eichen-zweigen;
23Denn wie ihr zartes holtz sich/ wie es uns gefällt/
24Von unsern händen läst nach ieder forme beugen:
25So fiel sein hertze bald der eltern willen bey/
26Und ließ wie Cimon sich zur tugend auffwärts richten/
27Zu zeigen: daß ein baum nur reich an seinen früchten/
28Und eine mutter erst vollkommen glücklich sey/
29Wenn sie um ihren schatz vor andern recht zu preisen/
30Nur/ wie Cornelia/ darff auff die kinder weisen.

31Mit zeit und jahren wuchs auch die erfahrenheit/
32So wie ein eichen-baum von vielen sturm und winden;
33Denn wer die stirne nicht mit staub und schweiß bestreut/
34Wird auch das güldne fließ der ehre selten finden.
35Der klügste Hannibal muß durch gefahr erhöht/
36Der grosse Cäsar vor in wellen elend werden.
37Drum brach der selige durch sorgen und beschwerden/
38Und glaubte: daß ein mensch nicht eher feste steht/
39Biß müh und kummer ihm/ mit dem wir uns beladen/
40So wenig als das feur kan grünen eichen schaden.

41Diß alles überwog der kern der süssen frucht/
42Die er biß in den tod vor keinem angebunden/
43Und mancher offtermahls noch eh’ er sie gesucht/
44Wie eicheln ohngefehr in wäldern hat gefunden.
45Der fromme Scipio hat alle fast beschenckt/
46Agesilaus nichts als schuldner hinterlassen;
47Er suchte iederman mit liebe zu umfassen/
48Und hat mit Phocion den gringsten nicht gekränckt/
49Wohl aber vielen so/ wie eichen-bäume bienen/
50Zu ihrem auffenthalt und schutze müssen dienen.

51Nechst liebe soll ein mensch auch klug im rathe seyn/
52Nach art der wider gifft bewehrten eichen-rinden.
53Denn klugheit muß die noth mit zucker überstreun;
54Wie Aertzte/ wund und schmertz mit eichen-laub verbinden.
55Der ruhm deß seligen ist allen offenbar/
56Und darff wie Cato sich durch säulen nicht vermehren/
57Weil bloß vernunfft und witz der marmol seiner ehren/
58So wie der eichen-safft des mistels wachsthum war;
59Und unser Leopold ihm selber neu gebohren/
60Indem er ihn zum rath und ritter außerkohren.

61Je höher aber er an stand und würde stieg/
62Je tieffer warff sein hertz sich wieder zu der erden;
63Denn dieses bleibt auch sein/ wie Cyrus gröster sieg/
64Daß er im glücke nicht hat können stöltzer werden/
65Und also dißfalls auch wie eichen sich bezeigt;
66Die zwar ihr hohes haupt zum himmel auffwärts strecken/
67An wurtzeln aber auch gleich tieff im grunde stecken/
68Zur lehre: daß der ruhm schon von sich selber steigt/
69Und ein bescheidner bloß mit nutz-erfüllten schalen/
70Gleich wie ihr gipffel soll mit lauter früchten pralen.

71Die klugen zehlen sonst zu wundern der natur
72Auch dieses: daß ihr stamm kan keinen ölbaum leiden.
73Wer weiß nicht/ wie sein geist auff der gesetzten spur/
74Das oele falscher welt hat wissen zu vermeiden?
75Wenn er auff erden schon den grossen GOtt beschaut/
76Und durch des glaubens-krafft den sünden obgelegen?
77Drum ward er lebenslang vom himmel auch mit segen/
78Als wie ein eichen-baum mit honig überthaut/
79Und ließ die blöden offt aus seinen augen lesen:
80Daß er bey sorgen auch stets gutesmuths gewesen.

81Itzt hat der blasse tod sein urthel abgefaßt/
82Und läßt das trauer-lied in unsern ohren schallen/
83Was jener Spanier auff einen eichen-ast
84Zum sinnenbilde schrieb: Nun ist er auch gefallen.
85Doch nur der meynung nach; denn kunst und wissenschafft/
86Schnitzt form und bilder erst aus umgefällten eichen;
87So kan auch unser geist erst GOttes bilde gleichen/
88Wenn er sich von der welt zum himmel auffgerafft;
89Der leib muß aber so/ wie eicheln in der erden
90Zum stamme/ mit der zeit zum menschen wieder werden.

91Was preßt/ betrübteste/ denn eure seuffzer aus?
92Ein baum/ der lange zeit mit ruhme frucht gegeben/
93Und schon/ dem wesen nach/ im himmel wie ein haus
94Von eichen-holtze/ fängt vom neuen an zu leben?
95Fürwar/ sein glücke braucht itzt eure klagen nicht;
96Drum auff/ und streicht das saltz der thränen von den wangen!
97Denn ist euch allen gleich ein vater untergangen/
98So glaubt/ daß dennoch auch sein tod diß urtheil spricht:
99Daß/ wer hier trauren will/ muß eichen-bäumen gleichen/
100Und mehr dem kummer nicht/ als diese plitzen weichen.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

Bitte prüfe den Text zunächst selbst auf Auffälligkeiten und nutze erst dann die Funktionen!

Wähle rechts unter „Einstellungen“ aus, welcher Aspekt untersucht werden soll. Unter dem Text findest du eine Erklärung zu dem ausgewählten Aspekt.

Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679)

* 01/01/1616 in Breslau, † 04/18/1679 in Breslau

männlich

deutsch-schlesischer Lyriker und Epigrammatiker, Politiker und Diplomat

(Aus: Wikidata.org)

Bitte beachte unsere Hinweise zur möglichen Fehleranfälligkeit!

Gedichtanalysen zu diesem Gedicht