Ewald Christian von Kleist: DeR FRÜHLING (1749)

1Empfangt mich heilige Schatten! ihr Wohnungen süsser Entzückung
2Ihr hohen Gewölbe voll Laub und dunkler schlafen-
3Die ihr oft einsahmen Dichtern der Zukunft Fürhang zerrissen
4Ost ihnen des heitern Olymps azurne Thoren eröfnet
5Und Helden und Götter gezeigt; Empfangt mich füllet die Seele
6Mit holder Wehmuth und Ruh! O daß mein Lebensbach endlich
7Von Klippen da er entsprang in euren Gründen verflösse!
8Führt mich in Gängen voll Nacht zum glänzenden Throne der
9Der um sich die Schatten erhellt. Lehrt mich den Wiederhall reitzen
10Zum Ruhm der verjüngten Natur. Und ihr, ihr lachenden
11Ihr Labyrinthe der Bäche, bethaute Thäler voll Rosen!
12Ich will die Wollust in mich mit eurem Balsamhauch ziehen
13Und wenn Aurora euch weckt mit ihren Stralen sie trinken.
14Gestreckt im Schatten will ich in güldne Sayten die Freude
15Die in euch wohnet besingen. Reitzt und begeistert die Sinnen
16Daß meine Thöne die Gegend wie Zesirs Lispelu erfüllen
17Der jetzt durchs Veilchen-Thal fleucht, und wie die rieselnden

18Auf rosenfarbnem Gewölk bekränzt mich Tulpen und Lilien
19Sank jüngst der Frühling vom Himmel. Aus seinen Busen ergoß
20Die Milch der Erden in Ströhmen. Schnell glitt von murmeln-
21Der Schnee in Bergen herab; Des Winters Gräber die Flüsse,
22Worin Felshügel von Eis mit hohlem Getöse sich stiessen,
23Empfingen ihn, blähten sich auf voll ungeduldiger Hoffnung
24Durchrissen nagend die Dämme, verschlangen frässig das Ufer
25Wald, Feld und Wiese ward Meer. Kaum sahn die Wipfel der
26Im Thal draus wankend herfür. Gefleckte Täucher und Enten
27Verschwanden, schossen herauf, und irrten zwischen den Zweigen
28Wo sonst für Schmerzen der Liebe im Laub die Nachtigall seufzte.
29Der Hirsch von Wellen verfolgt streift auf unwirthbare Felsen
30Die traurig die Fluth übersahn. Ergriffene Bären durch stürzten
31Das anfangs seichte Gewässer voll Wuth, sie schüttelten brummend
32Die um sich giessenden Zoten. Bald sank der treulose Boden
33Sie schnoben, schwammen zum Wald, umschlangen Tannen und
34Und huben sich träufelnd empor. Hier hingen sie ängstlich im
35Von reissenden Winden, vom Heulen der Flüsse-speyenden Klippen
36Und untern Tiefe gescheucht. Der Büsche versamlete Sänger
37Betrachteten traurig und stumm von dürren Armen der Linden
38Das vormals glückliche Thal, wo sie den flehenden Jungen
39Im Dornstrauch Speise vertheilt. Die angekommene Lerche
40Sich aufwerts schwingend, beschaute die Wasserwüste von oben
41Und suchte verlassne Gefilde. Es flossen Schäuren und Wände
42Und Dächer und Hütten herum. Aus Giebeln und gleitenden
43Versah der trostlose Hirt sich einer Sündfluth, die vormals
44Die Welt umrollte, daß Gemsen in schlagenden Wogen versan-

45Der Boden trank endlich die Fluth. Von eilenden Dünsten
46Flohn junge Schatten umher. Den blauen Umfang des Himmels
47Durchbrach ein blitzendes Gold. Zwar streute der weichende
48Noch oft bey nächtlicher Umkehr von dengeschüttelten Schwingen
49Reif, Eis und Schaure von Schnee; Noch liessen wütrische Stürme
50Die rauhe dumpfigte Stimm aus Jslands Gegend erthönen
51Durchstreiften klagende Klüfte, verheerten taumelnde Wälder
52Und bliesen Schrecken herum, und Ueberschwemmung von Kälte;
53Bald aber siegte der vor noch ungesicherte Frühling.
54Die Luft ward sänster; Ein Teppich geschmückt mit Ranken und
55Von Büschen, Blumen und Klee, wallt auf Gefilden und Auen,
56Die Schatten wurden belaubt, ein sanft Gethöne erwachte,
57Und floh und wirbelt umher im Hayn voll grünlicher Dämm-
58Die Bäche färbten sich silbern, im Luftr aum flossen Gerüche
59Und Echo höret’ im Grunde die frühe Flöte des Hirten.

60Ihr! derenzweiselbaft Leben gleich trüben Tagen des Winters
61Ohn Licht und Freude verfliesst, die ihr in Höhlen des Elends
62Die finstere Stunden verseufzt, betrachtet die Jugend des Jahres!
63Dreht jetzt die Augen umher, lasst tausend farbigte Scenen
64Die schwarzen Bilder verfärben! Es mag die niedrige Ruhmsucht
65Die schwache Rachgier, der Geiz und seufzender Blutdurst sich
66Ihr seyd zur Freude geschaffen, der Schmerz schimpft Tugend
67Saugt Lust und Anmuth in euch! schaut her! sie gleitet im Luft-
68Und grünt und rieselt im Thal. Und ihr, ihr Bilder des Früh-
69Ihr blühenden Schönen! flieht jetzt den athemraubenden Aushauch
70Von güldnen Kerkern der Städte. Komt! komt! in winkende Felder
71Komt! überlasset dem Zefir zum Spiel die Wellen der Locken,
72Seht euch in Seen und Bächen gleich jungen Blumen des Ufers
73Pflückt Morgentulpen voll Thau, und ziert den wallenden Busen.

74Hier wo zur Linken der Fels mit Strauch und Tannen be-
75Zur helfte den bläulichen Strohm, sich drüber neigend, beschattet,
76Will ich ins grüne mich setzen an weinende steinichte Höhen
77Und Thal und Ebne beschauen. O welch ein frohes Gewühle
78Belebt das streifichte Land! wie lichlich lächelt die Anmuth
79Aus Wald und Büschen herfür! Ein Zaun von blühenden Dornen
80Umschliesst und röthet ringsum die sich verlierende Weite
81Vom niedrigen Himmel gedrückt. Von bunten Moonblumen laufen
82Mit grünen Weitzen versetzt, sich schmälernde Beeten ins ferne
83Durchkreutzt von blühenden Flachs. Feldrosen-Hecken und Schlee-
84In Blüthen gleichsam gebüllt, umkränzen die Spiegel der Teiche
85Und sebn sich drinnen. Zur Seiten blitzt aus dem grünlichen
86Ein Meer voll güldener Strahlen, durch Phöbus glänzenden Anblick,
87Es schimmert sein gelbes Gestade von Muscheln und farbigten
88Und Lieb und Freude durchtaumelt in kleiner Fische Geschwadern
89Und in den Riesen des Wassers die unabsehbare Fläche.
90Auf fernen Wiesen am See stehn majestätische Rösse,
91Sie werfen den Nacken empor und fliehn und wiehern für Wollust
92Daß Hayn und Felsen erschallt. Gefleckte Kühe durchwaten,
93Geführt vom ernsthaften Stier, des Meyerhofs büschichte Sümpfe
94Der finstre Linden durchsieht. Ein Gang von Espen und Ulmen
95Führt zu ihm, durch welchen ein Bach sich zeigt, in Binsen sich
96Von hellen Schwänen bewohnt. Gebürge die Brüste der Reben
97Stebn frölich um ihn herum; Sie ragen über den Buchwald
98Des Hügels Krone, davon ein Theil im Sonnenschein lächelt
99Und glänzt, der andere traurt im Flor vom Schatten der Wolken.
100Die Lerche steigt in die Lust, sieht unter sich Klippen und Thäler;
101Entzückung thönet aus ihr. Der Klang des wirbelnden Liedes
102Ergötzt den ackernden Landmann. Er horcht eine Weile; Denn
103Sich auf den gleitenden Pslug, zieht braune Wellen im Erdreich
104Verfolgt von Krähen und Elstern. Der Säemann schreitet ge-
105Giesst güldne Tropfen ihm nach; Die zackichte Egde bewälzt sie
106Mit einer ebenen Decke. O daß der mühsame Landwirth
107Für sich den Seegen nur streute! daß ihn die Weinstöcke tränkten
108Und in den Wiesen für ihn nur bunte Wogen sich wälzten!
109Allein der frässige Krieg von zähnebleckenden Hunger
110Und wilden Schaaren begleitet, verheeret ost Arbeit und Hoffnung;
111Gleich Hagelgüssen und Sturm zerbricht er nährende Halmen
112Reisst Stab und Reben zu Boden, entzündet Dörfer und Wälder
113Für sich zum flammenden Lustspiel. Denn fliegt ein mördrisch
114Und Tod und Jammer herum. Die Thäler blitzen von Waffen,
115Es wälzen sich Wolken voll Feur aus tiefen Schlünden der Stücke
116Und füllen die Gegend mit Donner, mit Gluth und Saaten von
117Das Feld voll blutiger Furchen gleicht einen wallenden Blutmeer;
118Ein Heer der furchtbarsten Thiere durch laufende Flammen ge-
119Stürzt sich mit hohlen Gebrüll in Uferfliehende Ströhme
120Der Wiederhall selber erschrickt und klagt; Es zittern für Grauen
121Die wilden Felsen und heulen. Des Himmels leuchtendes Auge
122Schliesst sich die Grausamkeit scheuend; Mit blauer Finsterniß
123Sich aufwerts drehende Dämpfe gleich dickem Nebel den Luftkreis
124Der oft vom Wiederschein blitzt. Wie, wann der Rachen des
125Mit ängstlich wildem Geschrey, daß Meer und Klippen es hören,
126Umlegne Dörfer und Städte, vom untern Donner zerrüttet,
127Mit Schrecken und Tod überspeyt und einer flammenden Sünd-

128Ihr! denen zwanglose Völker das Steur der Herrschaft
129Führt ihr durch Flammen und Blut sie zur Glückseligkeit Hafen?
130Was wünscht ihr Väter der Menschen noch mehrere Kinder! Ists
131Viel Millionen beglücken? Erfordert: wenige Mühe?
132O mehrt derjenigen Heil die eure Fittige suchen!
133Deckt sie gleich brütenden Adlern; Verwandelt die Schwerdter
134Belohnt mit Ehren und Gunst die, deren nächtliche Lampe
135Den ganzen Erdball erleuchtet; Setzt Gärtner zur Baumschul
136Lasst güldne Wogen im Meer, fürs Land, durch Schiffarth sich
137Erhebt die Weisheit im Kittel, und trocknet die Zähren der Tugend.

138Wohin verführt mich der Schmerz; Weicht, weicht, ihr
139Kom Muse! laß uns die Wohnung und häusliche Wirthschaft des
140Und viehzucht und Gärte betrachten. Hier steigt kein Marmor
141Und zeuget Kämpfer, kein Taxus spitzt sich vor Schlössern, kein
142Folgt hier dem Zuruf der Kunst. Verschränkte wölkichte Wipsel
143Von hohen Linden, beschatten ein Haus von Reben umkrochen
144Durch Dorn und Hecken bevestigt. Ein Teich glänzt mitten in
145Mit grünem Flos-Kraut bestreut, wodurch aus scheinbarer Tiefe
146Des Himmels Ebenbild blinkt. Er wimmelt von zahmen Bewohnern.
147Die Henne jammert ums Ufer, und ruft die gleitenden Entchen
148Die sie gebrütet; Sie fliehn der Stiefmutter Stimme, durch plät-
149Die Fluth, und nagen am Schilff. Mit vorgebogenen Hälsen
150und zischernd, treiben die Gänse fern von der Lustbahn der Jungen
151Den schwimmenden Schießhund. Denn spielen die haarigten Kin-
152Den Kopf ins Wasser und schnattern, sie hängen im Gleichgewicht
153Und zeigen die rudernden Füsse. Hier lockt das Mägdchen die
154Zum Hüner-Korbe, sie eilen, durchschlupfen die Sprossen des Tisch-
155Und fordern Nahrung. Die Wirthin sich drüber neigend, be-
156Mit einem Regen von Korn, und sieht sie picken und zanken.
157Dort lauscht das weisse Kaninchen in dunkler Höhle; Es drehet
158Die rothen Augen herum, springt endlich surchtsahm zum Zaune
159Und reisst an staudichten Pappeln. Aus seines Wohnhauses Fenster
160Sieht sich das Lachtäubchen um, kratzt den roth-silbernen Nacken
161Und fliegt zum Liebling aufs Dach. Er zürnt ob dessen Verweilen
162Und dreht sich um sich und schilt; Bald rührt ihn das Schmei-
163Viel Küsse werden verschwendet, bis sie mit schnellen Gefieder
164Die Luft durchlispeln, und aufwerts sich zu Gespielen gesellen
165Die blitzend im Sonnenglanz schwärmen. Von blühenden Frucht-
166Der Garten, die kreutzende Gänge mit rother Dunkelheit füllen
167Und Zefir gaukelt umher, treibt Wolken von Blüthen zur Höhe
168Die sich ergiessen und regnen. Zwar hat hier Wollust und Hoch-
169Nicht Nahrung von Mohren entlehnt und sie gepflanzet; Nicht
170Nicht Aloen blicken durch Fenster. Das nutzbare Schöne ver-
171Den Landmann, und etwan ein Kranz. Durch lange Gewölbe von
172Zeigt sich voll laufender Wolken der Himmel und ferne Gefilde
173Voll Seen und büschichter Thäler umringt mit blauen Gebürgen.
174Das Auge durchirret den Auftrit bis ihn ein näherer schliesset.
175Die Fürstin der Blumen die Lilie erhebt die Krone zur Seiten
176Hoch über streifichte Tulpen. Seht! wie die Kinder des Früh-
177Liebkosend winken; Wie glänzt der Grund von lebenden Stoffen!
178Die holde Mayblume drengt die Silberglöckchen durch Blätter
179Und manche Rose durchbricht schon ungeduldig die Knospe.
180Es steigt unsehbarer Regen von lieblichen Düften zur Höhe
181Und füllt die Lüfte mit Balsam. Die Nacht-Viole lässt immer
182Die stölzere Blumen den Duft verhauchen; Voll Edelmuth
183Ihn ein, im Vorsatz den Abend noch über den Tag zu verschönern.
184Ein Bildniß grosser Gemüther, die nicht gleich prahlrischen Käm-
185Der Kreis von Zuschauern reitzt, die tugendhaft wegen der Tu-
186In der Verborgenheit Schatten Gerüche der Wohlthaten streuen.
187Seht hin! wie brüstet der Pfau sich dort am farbigten Beete
188Voll Eifer sucht über dic Kleidung der frölichen Blumen stolzirt er,
189Kreibt rauschend den grünlichen Schweif voll Regenbögen, und
190Den farbenwechselnden Hals. Die Schmetterlinge sich jagend
191Umwälzen sich über den Bäumen mit bunten Flügeln; voll Liebe
192Und unentschlossen im wählen beschauen sie Knospen und Blüte.
193Indessen impfet der Herr des Gartens Zweige von Kirschen
194Durchsägten Schlee stämmen ein, die künftig über die Kinder
195Die sie gesäuget erstaunen. Das Bild der Anmuth die Haus-
196Sitzt in der Laube von Reben, pflanzt Stauden und Blumen auf
197Die Freude lächelt aus ihr. Ein Kind der Gratien Liebling
198Stört sie durch Plappern, am Hals mit zarten Armen ihr hangend,
199Ein andres tändelt in Klee, sinnt nach, und stammlet Gedanken.

200O dreymal seliges Volk das ohne Stürme des Unglücks
201Das Meer des Lebens durchschifft, dem einsahm in Gründen die
202Wie sanfte Weste verpfliegen! Laß andre, dem wimmelnden Pöbel
203Der Bäum und Dächer ersteigt zur Schau, in Siegswägen gleissen
204Von Elephanten gezogen; Laß sie der Wellen Gebürge
205Mit Wolken von Seegeln bedecken, und Japan in Westen ver-
206Der ist ein Günstling des Himmels, den, fern von Foltern der Laster
207Die Ruh an Quellen umschlingt. Auf ihn blickt immer die Sonne
208Von oben lieblich herab, ihm braust kein Unglück in Wogen
209Er seufzt nicht thörichte Wünsche, ihn micht die Höhe nicht
210Die Arbeit würzt ihm die Kost, sein Blut ist leicht wie der Ether
211Sein Schlaf verfliegt mit der Dämmrung, ein Morgenlüftchen

(Kleist, Ewald Christian von: Der Frühling. Berlin, 1749.Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Author

Ewald Christian von Kleist (1715-1759)

* 03/07/1715 in Cybulino (Bobolice), † 08/24/1759 in Frankfurt (Oder)

männlich, geb. von Kleist

- im Einsatz getötet

deutscher Dichter und preußischer Offizier

(Aus: Wikidata.org)

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