N. N.: Fata morgana (1885)

1Wie milde und süß
2Des Abends Kühle
3Und thaufrische Labung
4Herniedersinkt
5Auf die heiße dürstende
6Glutschwangre Erde!
7Matter glänzen die Tiefen
8Des
9In duftweißem Schimmer;
10Nur in der Ferne
11Wie stolzen Gebirges
12Vielhäuptiges Steinmeer
13Ragt auf der Wolken
14Stummdräuende Nebelwand.
15Immer dichter breitet
16Um die dämmernden Sinne
17Mit Muttersorgfalt
18Ihren Traumesschleier
19Die Trösterin Nacht.
20Wie Geisterrauschen
21Zieht’s durch die Lüfte,
22Sanft küßt es die Köpfchen
23Zarthalmiger Gräser,
24Die stolzen Kronen
25Hochwipfliger Bäume,
26Daß sie leise erzittern
27In wonnigem Beben
28Und flüsternd sich neigen.
29Jeder Schmerz, jede Sehnsucht
30Der Seele verhaucht,
31Mit dem Friedenslispeln
32Der Lüfte und Sterne.
33Himmel und Erde
34Umarmt sich alleins
35In dem Segenszauber
36Der müden Natur …
37Immer deutlicher grüßt
38Aus wachsenden Schatten
39Die heilige Schwelle
40Der Heimath.
41Jetzt lächle ich selig,
42Ein seliges Kind, ach,
43Im Schooße der Mutter.

(Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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