Friedrich Gottlieb Klopstock: Der Messias . Dritter Gesang (1751)

1Sey mir gegrüßt! ich sehe dich wieder, die du mich gebahrest,
2Erde, mein mütterlichLand, die du mich im kühlenden Schoße
3Einst zu den Schlafenden Gottes begräbst, und meine Gebeine
4Sanft bedeckst; doch dann erst, dieß hoff ich zu meinem Erlöser,
5Wenn von ihm mein heiliges Lied zu Ende gebracht ist.
6Alsdann sollen die Lippen sich erst, die den Menschenfreund sangen,
7Dann erst sollen die Augen, die seinetwegen vor Freuden
8Oftmals weinten, sich schliessen; dann sollen erst meine Freunde
9Und die Engel mein Grab mit Lorbeern und Palmen umpflanzen,
10Daß, wenn ich einst nach himmlischer Bildung vom Tode erwache,
11Meine verklärte Gestalt aus stillen Hainen hervorgeh.

12Und du, die du zur Hölle mich führtest, unsterbliche Muse,
13Und nun meinen noch bebenden Geist zurücke gebracht hast,
14Du, die vom göttlichen Blick die ernste Gerechtigkeit lernte,
15Aber auch ihren Vertrauten mit süsser Freundlichkeit lächelt,
16Heitre die Seele, die noch von ihren Gesichten umgeben
17Innerlich bebt, mit himmlischem Licht auf, und lehre sie ferner,
18Jhren erhabnen Versöhner, den besten der Menschen, besingen.

19Jesus war noch allein mit Johannes im Grabmal der Todten.
20Unter zerstreuten Gebeinen, von Nacht und Schatten umgeben,
21Saß er, und überdachte sich selber, den Sohn des Vaters,
22Und den Menschen zum Tode bestimmt. Vor seinem Gesichte
23Sah er die Sünden der Menschen, die alle, die seit der Erschaffung
24Adams Kinder vollbrachten, auch die, so die schlimmere Nachwelt
25Sündigen wird, ein unzählbares Heer, Gott fliehend, vorbeygehn.
26Satan war mitten darinnen, und herrschte. Vom Angesicht Gottes
27Trieb er, den Sünder, das Menschengeschlecht, und versammelt es zu sich,
28Wie die Ebnen des Meers ein mitternächtlicher Strudel
29Rings um in sich verschlingt, und immer zum Untergang offen,
30Unsichtbar unter den Wolken des niedersteigenden Himmels,
31Alle zu sichre Bewohner des Meers in die Tiefen hinabzieht.
32Jesus sah die Sünden und Satan. Drauf sah er zu Gott auf.
33Gott, sein Vater, sah auch nach ihm tiefsinnig hernieder.
34Zwar brach aus seinem erhabenen Blick das ernste Gerichte
35Langsam hervor; zwar donnerte Gott, und schreckt ihn von ferne.
36Gleichwohl blieben noch Züge des unaussprechlichen Lächelns
37In dem Antlitz voll Gnade zurück. Die Seraphim sagen,
38Damals habe der ewige Vater die andere Thräne
39Stille geweint. Er weinte die erste, da Adam verflucht ward.
40Also sahn sie sich an. In feyrender Sabbathstille
41Neigt sich vor ihnen die ganze Natur. Voll Ehrfurcht und wartend
42Bleiben die Welten stehn, und, auf beyder Anschaun gerichtet,
43Geht der betrachtende Cherub in stillen Wolken vorüber.
44Auch kam Seraph Eloa, von himmlischen Wolken umgeben,
45Zu der Erden herunter, und sah von Antlitz zu Antlitz
46Den Meßias, und zählte die menschenfreundlichen Thränen,
47Alle Thränen, die Jesus weinte. Drauf stieg er gen Himmel.
48Als er hinaufstieg, erblickt ihn Johannes. Jhm öffnete Jesus,
49Daß er den Seraph erblickte, die Augen. Er sah ihn, und staunte,
50Und umarmte voll Inbrunst den Mittler, und nannt ihn mit Seufzern
51Seinen Erlöser und Gott, mit unaussprechlichen Seufzern
52Nannt er ihn so, und blieb bey ihm in süßer Umarmung.

53Aber die übrigen Eilfe, die Jesum schon lange nicht sahen,
54Giengen im Dunkeln am Fuße des Oelbergs, und suchten ihn traurig.
55Außer einem, der Jesum, wie sie, nicht mehr zärtlich verehrte,
56Waren sie Männer voll Unschuld. Die Göttlichkeit ihrer Herzen
57Kannten sie nicht. Gott kannte sie besser. Er schuf sie zu Seelen,
58Welche dereinst des Ewigen Offenbarungen schauten.
59Doch nicht jener zugleich, der, der himmlischen Jüngerschaft unwerth,
60Jesum verrieth. Er konnte sie schaun, verrieth er nicht Jesum.
61Jhnen wurden schon, eh sie der Leib der Sterblichkeit einschloß,
62Neben den Stülen der vier und zwanzig Aeltsten im Himmel
63Goldene Stüle gesetzt; doch einer der goldenen Stüle
64Ward einst mit Wolken bedeckt, bald aber entflohen die Wolken,
65Und ein lichtheller ewiger Glanz gieng wieder vom Stuhl aus.
66Damals rief Eloa und sprach! Er ist ihm genommen,
67Und ist einem andern gegeben, der besser, als er ist!

68Jhre Beschützer, zwölf Engel der Erde, die unter der Aufsicht
69Gabriels stehn, erhuben sich itzt auf die Höhen des Oelbergs,
70Und betrachteten da mit freundschaftsvollem Vergnügen
71Unsichtbar ihre Gespielen, wie sie den göttlichen Mittler
72Ueberall thränenvoll suchten. Da kam mit flüchtigen Schritten
73Aus der Sonnen ein Seraph, und stund auf einmal bey ihnen.
74Dieser war einer von Vieren, die gleich nach Uriel herrschen.
75Selia, war sein Name. Jtzt sprach er also zu ihnen:

76Sagt mir, himmlische Freunde, wo ist er, in welchen Gefilden
77Wandelt er itzt, der große Meßias? Die Seelen der Väter
78Senden mich, ich soll ihn auf allen göttlichen Wegen
79Still begleiten, und jede That der großen Erlösung
80Achtsam bemerken; kein heiliges Wort, kein zärtlicher Seufzer
81Soll mir von seinem unsterblichen Mund ungehöret entfliehen;
82Himmlische Freunde, kein tröstender Blick, und keine der Zähren,
83Jener getreuen der Gottheit und Menschheit so würdigen Zähren,
84Soll unangemerkt mir im göttlichen Auge sich zeigen.
85Ach zu früh entziehst du dem Blicke der heiligen Väter,
86Erde, dein schönstes Gefilde, wo Gott in Hüllen der Menschheit
87Wandelt, und das Opfer des großen Mittleramts anfängt!
88Ach zu früh entfliehst du dem Tag und Uriels Antlitz,
89Der nun ungern und traurig den untersten Welttheil umleuchtet!
90Dort ist ihnen kein änderndes Thal, kein erwachend Gebirge
91Angenehm; denn hier wandelt er nicht, der große Meßias!

92Selia endigte so. Jhm erwiederte Seraph Orion,
93Simons Schutzgeist: dort unten, wo sich die traurigen Gräber
94Oeffnen, und sich sinkend mit des Oelbergs Fuße vertiefen,
95Dort steht, himmlischer Freund, der hohe Meßias und denket.
96Selia sah ihn, und blieb unverwandt in stiller Entzückung
97Stehn. Schon waren mit eilendem Flügel zwo fliehende Stunden
98Ueber sein Haupt mit der Stille der Nacht vorübergeflogen,
99Als er noch stand. Indem kam der letzte vertrauliche Schlummer
100In das Auge des Mittlers herab. Die heilige Ruhe
101Eilte, gesandt von Gott, vom Allerheiligsten Gottes,
102Auf ihn, mit kühlendem Säuseln, in stillen Düften hernieder.
103Jesus schlief. Drauf wandte sich Selia zu der Versammlung,
104Und trat mitten hinein und sprach vertraulich zu ihnen:

105Meldet mir, himmlische Freunde, wer sind die Männer dort unten,
106Die da wandeln, und wie verlassen, und traurig herumgehn?
107Sehet, ein stiller einnehmender Schmerz deckt ihre Gesichter,
108Doch entstellt er sie nicht. So drücken sich edle Gemüther
109Wehmuthsvoll aus. Sie weinen vielleicht um einen geliebten
110Und entschlafenen Freund, der ihnen an Tugenden gleich war.

111Jhm erwiedert Orion: das sind die Heiligen Zwölfe,
112Selia, die Jesus sich zu Vertrauten erwählte.
113Ach, wie selig sind wir, daß uns ihr Meister erlesen,
114Jhre Beschützer und Freunde zu seyn! Da sehen wir immer,
115Wie er mit süsser geselliger Liebe sich ihnen eröffnet,
116Wie er sie lehrt, wie er bald mit mächtigen Reden den Eingang
117Zu den hohen Geheimnissen zeigt, bald in menschlichen Bildern
118Dich, unsterbliche Tugend, verklärter und fühlbarer zeiget,
119Und nach und nach ihr empfindendes Herz zur Ewigkeit bildet.
120O wie viel erlernen wir da! wie macht uns sein Beyspiel
121Aufmerksam, und wie reizet er uns, ihm anbetend zu folgen!
122Selia, solltest du ihn und seinen göttlichen Wandel,
123Und sein edles, des ewigen Vaters so würdiges Leben
124Täglich sehen, dein Herz zerflöß in stiller Entzückung!
125Auch ist es schön, und klinget auch selbst in unsterblichen Ohren
126Lieblich, wenn seine Vertrauten von ihm sich zärtlich besprechen.
127Freund, wie wir uns, so lieben sie ihn. Ich hab es hier öfters
128In der Versammlung gesagt, und wiederhol es auch itzo:
129Vielmals wünsch ich von Adams Geschlecht, ja selber auch sterblich
130Mit den Menschen zu seyn; wenn anders ohne die Sünde
131Eine Sterblichkeit seyn kann. Vielleicht verehrt ich ihn treuer.
132Meinen Bruder von eben dem Fleisch und Blute gebohren
133Liebt ich vielleicht weit brünstiger noch. Mit welcher Entzückung
134Wollt ich ihn loben; mein schwaches Geseufz, mein sterbendes Stammeln
135Sollte so harmonisch, wie die hohen Lieder Eloa,
136Wenn er am Throne vorbeygeht, im Ohre der Gottheit ertönen.
137Alsdann solltest du, Selia, mir, oder einer von diesen,
138Sanft mit unsichtbarer Hand die gebrochnen Augen zudrücken,
139Und die entfliehende Seele zum Thron des Ewigen führen.

140Selia sprach: wie rührest du mich! Wie reizt mich dein Wünfchen,
141Auch ein Bruder der Menschen zu seyn. Die Männer dort unten
142Die sind also die heiligen Zwölfe, die Freunde des Mittlers?
143Welche zu seyn, selbst Seraphim, auch mit der Sterblichkeit, wünschen.
144Seyd mir gesegnet! Jhr seyd es auch würdig, Unsterbliche, denn euch
145Liebt der Erlöser, wie Brüder, ihr werdet auf goldenen Stülen
146Sitzen, und den Weltkreis mit eurem Könige richten.
147Seraphim, nennet sie mir! Ich will die Namen auch hören,
148Die schon lang im Buche des Lebens vorzüglicher glänzen.
149Nennt mir jenen zuerst, der dort mit feurigen Augen
150Um sich blickt, und im schattichten Walde mit Ungeduld suchet;
151Jesum vielleicht. Muth, und ein kühnes entschlossenes Wesen
152Seh ich in seinem Gesicht. Aufrichtig sagt es mir alles,
153Was vom fühlenden Herzen belebt die Seele gedenket.

154Dieser ist Simon Petrus, erwiederte Seraph Orion
155Einer der größten. Mich wählte der Mittler zu seinem Beschützer.
156Wie du sagtest, so ist auch mein Freund. Du solltest ihn immer
157Nebst mir in allem seinen Betragen, in Jesu Gesellschaft,
158Wenn er inbrünstig ihn hört, auch wenn er am fernen Gestade
159Von ihm getrennt, und von mir begleitet und von mir begeistert,
160Schlummert und von Gott träumt, da solltest du immer ihn sehen,
161Seraph, du würdest sein fühlendes Herz noch göttlicher nennen.
162Jüngst als Jesus die Jünger befragte, für wen sie ihn hielten,
163Sprach er: du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!
164Dieses sagt er, und weinte vor Freude. Wir weinten auch, Seraph,
165Als er die Worte vor unaussprechlichen Seufzern kaum ganz sprach.
166Aber ach! hätt ich nur nicht selbst aus dem Munde des Mittlers
167Dieß von Petrus gehört: Du wirst mich dreymal verleugnen!
168Traurige Worte, was sagtet ihr mir! Ach Simon, mein Bruder,
169Hörtest du sie? Und wenn du sie hörtest, was dachte dein Herze?
170Simon, du sagtest zwar kühn: du wolltest ihn niemals verleugnen,
171Deinen Erlöser und Gott! Doch Jesus sagt es noch einmal.
172Wenn du es wüßtest, wie mir mein Herz für Wehmuth zerfliesset,
173Wenn ich dran denke, du stürbest viel lieber, als daß du den besten
174Deinen getreusten unsterblichen Freund unedel verkenntest.
175Doch du weißt ja, wie Jesus dich liebt. Du sahst ja sein Auge,
176Das voll göttlicher Huld bey diesen Worten dich ansah.
177Simon Perus, du wirst ihn doch nicht unedel verkennen.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803)

* 07/02/1724 in Quedlinburg, † 03/14/1803 in Hamburg

männlich, geb. Klopstock

deutscher Autor und Dichter

(Aus: Wikidata.org)

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