Max Dauthendey: 1 (1892)

1Weiß fließt Nachmittaglicht. Kühl der Himmel. Schicht an Schicht eisige Wolken.
2Geronnen aus Asche und Hunger staubgrau steht die Hochsommerheide.
3In Nacktheit wankt eine Schar, Männer, Frauen, Greise.
4Schwarze Wunden stöhnen an allen Brüsten. Dumpf dröhnen die Herzen.

5Schale Ruhe im Feld. Kahle Staubdüfte steigen. Die Schritte der Nackten im Takt
6Mit dem blauen schaukelnden Reigen der Heideglocken und Astern.
7Milchlichte Mägde, schwalbenschlank, lesen gebückt lila Minzblüten, Wacholderkraut,
8Wecken mit Würzgerüchen den bedrückten Laut ihrer wundkranken Herzen.
9Am Weg gelbe Blütenzepter der Königkerzen rauschen in jubelndem Gold,
10Die Dirnen lauschen mit zagem Staunen, im Blütenrauschen raunen künftige glückhelle Tage.

11Mit fahlen Augen rehschlanke Knaben traben dem Schwarme voraus,
12Saugen knirschend in Qualen das kranke Blut der eigenen Wunden.
13Eine Grasmücke lispelt im Brombeergerank, weiß ein Wiesel, eine Eidechse grün
14Schlüpfen durch die Erdgrüfte, – kühn lüften sich junge Blicke, die Knaben hüpfen,
15Durchspähen die Weiten, einer Lerche Lied wirbelt; der Knaben todmattes Blut
16Wirbelt mit in Hoffnungsröte und Zukunftmut.

17Schwer schreiten Frauen, narzissenweiße, umschlingen einander in heißen Reihen, singen im Wandern.
18Haar flutet, strömt über wunddunkle Brüste. Ungestillt, lüstehungernd glutet ihr Atem.

19Sie pressen das Blut aus den Strähnen, singen Mut den zagenden Greisen:
20»laßt euer Herzrot am Wege, wir werden gesunden.
21Laßt euer Herzrot zurück, lacht eurer Wunden.
22Kehren wir wieder, blüht uns das scharlachne Glück,
23Wir werden lachend gesunden.«

24Der Greise Schar stockt. Von Falten durchwurzelt ein blutleer Gesicht spricht klagend zurück:
25»glück lockt uns nirgends am Wege.
26Die Heiden kamen, die Heiden verblühten,
27Weiß glühten Winter um Winter,
28Jeder Morgen entzündet dunkler die Wunden.
29Gesunden? – Wir werden nie mehr gesunden.«

30Heulendes Lachen höhnt. Die Stärksten werfen sich selber die Keulen an die zerschundene Brust,
31Peinen mit wiehernder Lust die eigenen Wunden, entfachen der Schwachen Mut mit gegeißelten Kräften.

32Blankbrüstig ein schwülgelbes Weib schleicht an einen der Starken heran,
33Schlingt rauschend ihr rauchschwarzes Haar um seinen prunkenden Leib,
34Ihr lechzender Atem sengt ihm das Ohr:
35»tor, ist die Stärke dein, warum liegt einsam mein Schoß?«
36Er stottert. Er bleicht.
37Sie durchschneidet mit
38Die Keule stürzt ihm ins Gras.
39»scheinkraft war nur noch dein!«
40Tränen durchbrechen ihr Auge. Sie läßt den Geschwächten allein.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Max Dauthendey (1867-1918)

* 07/25/1867 in Würzburg, † 08/29/1918 in Malang auf Java

männlich, geb. Dauthendey

deutscher Dichter und Maler

(Aus: Wikidata.org)

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