1Die Sonne zeigt, vollendend gleich dem Helden,
2Dem tiefen Tal ihr Abendangesicht,
3(für andre, ach! glückselgre Welten
4Ist das ein Morgenangesicht),
5Sie sinkt herab vom blauen Himmel,
6Ruft die Geschäftigkeit zur Ruh,
7Ihr Abschied stillt das Weltgetümmel
8Und winkt dem Tag sein Ende zu.
9Jetzt schwillt des Dichters Geist zu göttlichen Gesängen,
10Laß strömen sie, o Herr, aus höherem Gefühl,
11Laß die Begeisterung die kühnen Flügel schwingen,
12Zu dir, zu dir, des hohen Fluges Ziel,
13Mich über Sphären himmelan gehoben,
14Getragen sein vom herrlichen Gefühl,
15Den Abend und des Abends Schöpfer loben,
16Durchströmt vom paradiesischen Gefühl.
17Für Könige, für Große ists geringe,
18Die Niederen besucht es nur –
19O Gott, du gabest mir Natur,
20Teil Welten unter sie – nur, Vater, mir Gesänge.
21Ha! wie die müden Abschiedsstrahlen
22Das wallende Gewölk bemalen,
23Wie dort die Abendwolken sich
24Im Schoß der Silberwellen baden;
25O Anblick, wie entzückst du mich!
26Gold, wie das Gelb gereifter Saaten,
27Gold liegt um alle Hügel her,
28Vergöldet sind der Eichen Wipfel,
29Vergöldet sind der Berge Gipfel,
30Das Tal beschwimmt ein Feuermeer;
31Der hohe Stern des Abends strahlet
32Aus Wolken, welche um ihn glühn,
33Wie der Rubin am falben Haar, das wallet
34Ums Angesicht der Königin.
35Schau, wie der Sonnenglanz die Königsstadt beschimmert
36Und fern die grüne Heide lacht;
37Wie hier in jugendlicher Pracht
38Der ganze Himmel niederdämmert;
39Wie jetzt des Abends Purpurstrom,
40Gleich einem Beet von Frühlingsrosen,
41Gepflücket im Elysium,
42Auf goldne Wolken hingegossen,
43Ihn überschwemmet um und um.
44Vom Felsen rieselt spiegelhelle
45Ins Gras die reinste Silberquelle
46Und tränkt die Herd' und tränkt den Hirt;
47Am Weidenbusche liegt der Schäfer,
48Des Lied das ganze Tal durchirrt
49Und wiederholt im Tale wird.
50Die stille Luft durchsumst der Käfer;
51Vom Zweige schlägt die Nachtigall,
52Ihr Meisterlied macht alle Ohren lauschen,
53Bezaubert von dem Götterschall
54Wagt itzt kein Blatt vom Baum zu rauschen,
55Stürzt langsamer der Wasserfall.
56Der kühle West beweht die Rose,
57Die eben itzt den Busen schloße,
58Entatmet ihr den Götterduft
59Und füllt damit die Abendluft.
60Ha, wie es schwärmt und lebt von tausend Leben,
61Die alle dich, Unendlicher, erheben,
62Zerflossen in melodischem Gesang,
63Wie tönt des Jubels himmlischer Gesang!
64Wie tönt der Freude hoch erhabner Klang!
65Und ich allein bin stumm – nein, tön es aus, o Harfe,
66Schall, Lob des Herrn, in seines Staubes Harfe.
67Verstumm, Natur, umher und horch der hohen Harfe,
68Dann Gott entzittert ihr,
69Hör auf, du Wind, durchs Laub zu sausen,
70Hör auf, du Strom, durchs Feld zu brausen,
71Und horcht und betet an mit mir:
72Gott tuts, wenn in den weiten Himmeln
73Planeten und Kometen wimmeln,
74Wenn Sonnen sich um Achsen drehn
75Und an der Erd vorüberwehn.
76Gott – wenn der Adler Wolken teilet,
77Von Höhen stolz zu Tiefen eilet
78Und wieder auf zur Sonne strebt.
79Gott – wenn der West ein Blatt beweget,
80Wenn auf dem Blatt ein Wurm sich reget,
81Ein Leben in dem Wurme lebt
82Und hundert Fluten in ihm strömen,
83Wo wieder junge Würmchen schwimmen,
84Wo wieder eine Seele webt.
85Und willst du, Herr, so steht des Blutes Lauf,
86So sinkt dem Adler sein Gefieder,
87So weht kein West mehr Blätter nieder,
88So hört des Stromes Eilen auf,
89Schweigt das Gebraus empörter Meere,
90Krümmt sich kein Wurm und wirbelt keine Sphäre –
91O Dichter, schweig: zum Lob des kleinen Myriaden,
92Die sich in diesen Meeren baden,
93Und deren Sein noch keines Aug durchdrang,
94Ist totes Nichts dein feurigster Gesang.
95Doch bald wirst du zum Thron die Purpurflügel schwingen,
96Dein kühner Blick noch tiefer, tiefer dringen,
97Und heller noch die Engelharfe klingen;
98Dort ist nicht Abend mehr, nicht Dunkelheit,
99Der Herr ist dort und Ewigkeit!