Friedrich Schiller: Elegie auf den Tod eines Jünglings (1782)

1Banges Stöhnen, wie vorm nahen Sturme,
2Hallet her vom öden Trauerhaus,
3Totentöne fallen von des Münsters Turme,
4Einen Jüngling trägt man hier heraus:
5Einen Jüngling – noch nicht reif zum Sarge,
6In des Lebens Mai gepflückt,
7Pochend mit der Jugend Nervenmarke,

8Mit der Flamme, die im Auge zückt;
9Einen Sohn, die Wonne seiner Mutter
10(o das lehrt ihr jammernd Ach),
11Meinen Busenfreund, ach! meinen Bruder –
12Auf! was Mensch heißt, folge nach!

13Prahlt ihr Fichten, die ihr hoch veraltet
14Stürmen stehet und den Donner neckt?
15Und ihr Berge, die ihr Himmel haltet,
16Und ihr Himmel, die ihr Sonnen hegt?
17Prahlt der Greis noch, der auf stolzen Werken
18Wie auf Wogen zur Vollendung steigt?
19Prahlt der Held noch, der auf aufgewälzten Tatenbergen
20In des Nachruhms Sonnentempel fleugt?
21Wenn der Wurm schon naget in den Blüten:
22Wer ist Tor, zu wähnen, daß er nie verdirbt?
23Wer dort oben hofft noch und hienieden
24Auszudauren – wenn der Jüngling stirbt?

25Lieblich hüpften, voll der Jugendfreude,
26Seine Tage hin im Rosenkleide,
27Und die Welt, die Welt war ihm so süß –
28Und so freundlich, so bezaubernd winkte
29Ihm die Zukunft, und so golden blinkte
30Ihm des Lebens Paradies;
31Noch, als schon das Mutterauge tränte,
32Unter ihm das Totenreich schon gähnte,
33Über ihm der Parzen Faden riß,
34Erd und Himmel seinem Blick entsanken,
35Floh er ängstlich vor dem Grabgedanken –
36Ach, die Welt ist Sterbenden so süß.

37Stumm und taub ists in dem engen Hause,
38Tief der Schlummer der Begrabenen;
39Bruder! ach, in ewig tiefer Pause
40Feiern alle deine Hoffnungen;
41Oft erwärmt die Sonne deinen Hügel,
42Ihre Glut empfindest du nicht mehr;
43Seine Blumen wiegt des Westwinds Flügel,
44Sein Gelispel hörest du nicht mehr;
45Liebe wird dein Auge nie vergolden,
46Nie umhalsen deine Braut wirst du,
47Nie, wenn unsre Tränen stromweis rollten, –
48Ewig, ewig sinkt dein Auge zu.

49Aber wohl dir! – köstlich ist dein Schlummer,
50Ruhig schläft sichs in dem engen Haus;
51Mit der Freude stirbt hier auch der Kummer,
52Röcheln auch der Menschen Qualen aus.
53Über dir mag die Verleumdung geifern,
54Die Verführung ihre Gifte spein,
55Über dich der Pharisäer eifern,
56Fromme Mordsucht dich der Hölle weihn,
57Gauner durch Apostelmasken schielen,
58Und die Bastardtochter der Gerechtigkeit
59Wie mit Würfeln so mit Menschen spielen,
60Und so fort bis hin zur Ewigkeit.

61Über dir mag auch Fortuna gaukeln,
62Blind herum nach ihren Buhlen spähn,
63Menschen bald auf schwanken Thronen schaukeln,
64Bald herum in wüsten Pfützen drehn –
65Wohl dir, wohl in deiner schmalen Zelle;
66Diesem komischtragischen Gewühl,
67Dieser ungestümen Glückeswelle,
68Diesem possenhaften Lottospiel,
69Diesem faulen fleißigen Gewimmel,
70Dieser arbeitsvollen Ruh,
71Bruder! – diesem teufelvollen Himmel
72Schloß dein Auge sich auf ewig zu.

73Fahr dann wohl, du Trauter unsrer Seele,
74Eingewiegt von unsern Segnungen,
75Schlummre ruhig in der Grabeshöhle,
76Schlummre ruhig bis auf Wiedersehn!
77Bis auf diesen leichenvollen Hügeln
78Die allmächtige Posaune klingt
79Und nach aufgerißnen Todesriegeln
80Gottes Sturmwind diese Leichen in Bewegung schwingt –
81Bis, befruchtet von Jehovas Hauche,
82Gräber kreißen – auf sein mächtig Dräun
83In zerschmelzender Planeten Rauche
84Ihren Raub die Grüfte wiederkäun –

85Nicht in Welten, wie die Weisen träumen,
86Auch nicht in des Pöbels Paradies,
87Nicht in Himmeln, wie die Dichter reimen, –
88Aber wir ereilen dich gewiß.
89Daß es wahr sei, was den Pilger freute?
90Daß noch jenseits ein Gedanke sei?
91Daß die Tugend übers Grab geleite?
92Daß es mehr denn eitle Phantasei? – –
93Schon enthüllt sind dir die Rätsel alle!
94Wahrheit schlirft dein hochentzückter Geist,
95Wahrheit, die in tausendfachem Strahle
96Von des großen Vaters Kelche fleußt. –

97Zieht dann hin, ihr schwarzen stummen Träger!
98Tischt auch den dem großen Würger auf!
99Höret auf, geheulergoßne Kläger!
100Türmet auf ihm Staub auf Staub zuhauf!
101Wo der Mensch, der Gottes Ratschluß prüfte?
102Wo das Aug, den Abgrund durchzuschaun?
103Heilig! Heilig! Heilig! bist du, Gott der Grüfte,
104Wir verehren dich mit Graun!
105Erde mag zurück in Erde stäuben,
106Fliegt der Geist doch aus dem morschen Haus!
107Seine Asche mag der Sturmwind treiben,
108Seine Liebe dauert ewig aus!

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Author

Friedrich Schiller (1759-1805)

* 11/10/1759 in Marbach am Neckar, † 05/09/1805 in Weimar

männlich, geb. Schiller

natürliche Todesursache - Tuberkulose

deutscher Dichter, Philosoph und Historiker

(Aus: Wikidata.org)

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