Friedrich Schiller: Er stand auf seines Daches Zinnen Titel entspricht 1. Vers(1782)

1Er stand auf seines Daches Zinnen,
2Er schaute mit vergnügten Sinnen
3Auf das beherrschte Samos hin.
4»dies alles ist mir untertänig«,
5Begann er zu Ägyptens König,
6»gestehe, daß ich glücklich bin.«

7»du hast der Götter Gunst erfahren!
8Die vormals deinesgleichen waren,
9Sie zwingt jetzt deines Szepters Macht.
10Doch einer lebt noch, sie zu rächen,
11Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,
12Solang des Feindes Auge wacht.«

13Und eh der König noch geendet,
14Da stellt sich, von Milet gesendet,
15Ein Bote dem Tyrannen dar:
16»laß, Herr! des Opfers Düfte steigen
17Und mit des Lorbeers muntern Zweigen
18Bekränze dir dein festlich Haar.

19Getroffen sank dein Feind vom Speere,
20Mich sendet mit der frohen Märe
21Dein treuer Feldherr Polydor –«
22Und nimmt aus einem schwarzen Becken,
23Noch blutig, zu der beiden Schrecken,
24Ein wohlbekanntes Haupt hervor.

25Der König tritt zurück mit Grauen:
26»doch warn ich dich, dem Glück zu trauen«,
27Versetzt er mit besorgtem Blick.
28»bedenk, auf ungetreuen Wellen,
29Wie leicht kann sie der Sturm zerschellen,
30Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück.«

31Und eh er noch das Wort gesprochen,
32Hat ihn der Jubel unterbrochen,
33Der von der Reede jauchzend schallt.
34Mit fremden Schätzen reich beladen,
35Kehrt zu den heimischen Gestaden
36Der Schiffe mastenreicher Wald.

37Der königliche Gast erstaunet:
38»dein Glück ist heute gut gelaunet,
39Doch fürchte seinen Unbestand.
40Der Kreter waffenkundge Scharen
41Bedräuen dich mit Kriegsgefahren,
42Schon nahe sind sie diesem Strand.«

43Und eh ihm noch das Wort entfallen,
44Da sieht mans von den Schiffen wallen,
45Und tausend Stimmen rufen: »Sieg!
46Von Feindesnot sind wir befreiet,
47Die Kreter hat der Sturm zerstreuet,
48Vorbei, geendet ist der Krieg.«

49Das hört der Gastfreund mit Entsetzen:
50»fürwahr, ich muß dich glücklich schätzen,
51Doch«, spricht er, »zittr ich für dein Heil.
52Mir grauet vor der Götter Neide,
53Des Lebens ungemischte Freude
54Ward keinem Irdischen zuteil.

55Auch mir ist alles wohlgeraten,
56Bei allen meinen Herrschertaten
57Begleitet mich des Himmels Huld,
58Doch hatt ich einen teuren Erben,
59Den nahm mir Gott, ich sah ihn sterben,
60Dem Glück bezahlt' ich meine Schuld.

61Drum, willst du dich vor Leid bewahren,
62So flehe zu den Unsichtbaren,
63Daß sie zum Glück den Schmerz verleihn.
64Noch keinen sah ich fröhlich enden,
65Auf den mit immer vollen Händen
66Die Götter ihre Gaben streun.

67Und wenns die Götter nicht gewähren,
68So acht auf eines Freundes Lehren
69Und rufe selbst das Unglück her,
70Und was von allen deinen Schätzen
71Dein Herz am höchsten mag ergötzen,
72Das nimm und wirfs in dieses Meer.«

73Und jener spricht, von Furcht beweget:
74»von allem, was die Insel heget,
75Ist dieser Ring mein höchstes Gut.
76Ihn will ich den Erinnen weihen,
77Ob sie mein Glück mir dann verzeihen.«
78Und wirft das Kleinod in die Flut.

79Und bei des nächsten Morgens Lichte,
80Da tritt mit fröhlichem Gesichte
81Ein Fischer vor den Fürsten hin:
82»herr, diesen Fisch hab ich gefangen,
83Wie keiner noch ins Netz gegangen,
84Dir zum Geschenke bring ich ihn.«

85Und als der Koch den Fisch zerteilet,
86Kommt er bestürzt herbeigeeilet
87Und ruft mit hocherstauntem Blick:
88»sieh, Herr, den Ring, den du getragen,
89Ihn fand ich in des Fisches Magen,
90O, ohne Grenzen ist dein Glück!«

91Hier wendet sich der Gast mit Grausen:
92»so kann ich hier nicht ferner hausen,
93Mein Freund kannst du nicht weiter sein.
94Die Götter wollen dein Verderben,
95Fort eil ich, nicht mit dir zu sterben.«
96Und sprachs und schiffte schnell sich ein.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Friedrich Schiller (1759-1805)

* 11/10/1759 in Marbach am Neckar, † 05/09/1805 in Weimar

männlich, geb. Schiller

natürliche Todesursache - Tuberkulose

deutscher Dichter, Philosoph und Historiker

(Aus: Wikidata.org)

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