1Vor seinem Löwengarten,
2Das Kampfspiel zu erwarten,
3Saß König Franz,
4Und um ihn die Großen der Krone,
5Und rings auf hohem Balkone
6Die Damen in schönem Kranz.
7Und wie er winkt mit dem Finger,
8Auf tut sich der weite Zwinger,
9Und hinein mit bedächtigem Schritt
10Ein Löwe tritt,
11Und sieht sich stumm
12Rings um,
13Mit langem Gähnen,
14Und schüttelt die Mähnen,
15Und streckt die Glieder,
16Und legt sich nieder.
17Und der König winkt wieder,
18Da öffnet sich behend
19Ein zweites Tor,
20Daraus rennt
21Mit wildem Sprunge
22Ein Tiger hervor.
23Wie der den Löwen erschaut,
24Brüllt er laut,
25Schlägt mit dem Schweif
26Einen furchtbaren Reif,
27Und recket die Zunge,
28Und im Kreise scheu
29Umgeht er den Leu
30Grimmig schnurrend;
31Drauf streckt er sich murrend
32Zur Seite nieder.
33Und der König winkt wieder,
34Da speit das doppelt geöffnete Haus
35Zwei Leoparden auf einmal aus,
36Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
37Auf das Tigertier,
38Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,
39Und der Leu mit Gebrüll
40Richtet sich auf, da wirds still,
41Und herum im Kreis,
42Von Mordsucht heiß,
43Lagern die greulichen Katzen.
44Da fällt von des Altans Rand
45Ein Handschuh von schöner Hand
46Zwischen den Tiger und den Leun
47Mitten hinein.
48Und zu Ritter Delorges spottenderweis
49Wendet sich Fräulein Kunigund:
50»herr Ritter, ist Eure Lieb so heiß,
51Wie Ihr mirs schwört zu jeder Stund,
52Ei, so hebt mir den Handschuh auf.«
53Und der Ritter in schnellem Lauf
54Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger
55Mit festem Schritte,
56Und aus der Ungeheuer Mitte
57Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.
58Und mit Erstaunen und mit Grauen
59Sehens die Ritter und Edelfrauen,
60Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
61Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,
62Aber mit zärtlichem Liebesblick –
63Er verheißt ihm sein nahes Glück –
64Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
65Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
66»den Dank, Dame, begehr ich nicht«,
67Und verläßt sie zur selben Stunde.