1»wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,
2Zu tauchen in diesen Schlund?
3Einen goldnen Becher werf ich hinab,
4Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
5Wer mir den Becher kann wieder zeigen,
6Er mag ihn behalten, er ist sein eigen.«
7Der König spricht es und wirft von der Höh
8Der Klippe, die schroff und steil
9Hinaushängt in die unendliche See,
10Den Becher in der Charybde Geheul.
11»wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
12Zu tauchen in diese Tiefe nieder?«
13Und die Ritter, die Knappen um ihn her
14Vernehmens und schweigen still,
15Sehen hinab in das wilde Meer,
16Und keiner den Becher gewinnen will.
17Und der König zum drittenmal wieder fraget:
18»ist keiner, der sich hinunterwaget?«
19Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor,
20Und ein Edelknecht, sanft und keck,
21Tritt aus der Knappen zagendem Chor,
22Und den Gürtel wirft er, den Mantel weg,
23Und alle die Männer umher und Frauen
24Auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen.
25Und wie er tritt an des Felsen Hang
26Und blickt in den Schlund hinab,
27Die Wasser, die sie hinunterschlang,
28Die Charybde jetzt brüllend wiedergab,
29Und wie mit des fernen Donners Getose
30Entstürzen sie schäumend dem finstern Schoße.
31Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
32Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
33Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
34Und Flut auf Flut sich ohn Ende drängt,
35Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
36Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.
37Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,
38Und schwarz aus dem weißen Schaum
39Klafft hinunter ein gähnender Spalt,
40Grundlos, als gings in den Höllenraum,
41Und reißend sieht man die brandenden Wogen
42Hinab in den strudelnden Trichter gezogen.
43Jetzt schnell, eh die Brandung wiederkehrt,
44Der Jüngling sich Gott befiehlt,
45Und – ein Schrei des Entsetzens wird rings gehört,
46Und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült,
47Und geheimnisvoll über dem kühnen Schwimmer
48Schließt sich der Rachen, er zeigt sich nimmer.
49Und stille wirds über dem Wasserschlund,
50In der Tiefe nur brauset es hohl,
51Und bebend hört man von Mund zu Mund:
52»hochherziger Jüngling, fahre wohl!«
53Und hohler und hohler hört mans heulen,
54Und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen.
55Und wärfst du die Krone selber hinein
56Und sprächst: Wer mir bringet die Kron,
57Er soll sie tragen und König sein,
58Mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn.
59Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
60Das erzählt keine lebende glückliche Seele.
61Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel gefaßt,
62Schoß gäh in die Tiefe hinab,
63Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast
64Hervor aus dem alles verschlingenden Grab. –
65Und heller und heller wie Sturmes Sausen
66Hört mans näher und immer näher brausen.
67Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
68Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
69Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
70Und Well auf Well sich ohn Ende drängt,
71Und wie mit des fernen Donners Getose
72Entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.
73Und sieh! aus dem finster flutenden Schoß
74Da hebet sichs schwanenweiß,
75Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß,
76Und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß,
77Und er ists, und hoch in seiner Linken
78Schwingt er den Becher mit freudigem Winken.
79Und atmete lang und atmete tief
80Und begrüßte das himmlische Licht.
81Mit Frohlocken es einer dem andern rief:
82»er lebt! Er ist da! Es behielt ihn nicht.
83Aus dem Grab, aus der strudelnden Wasserhöhle
84Hat der Brave gerettet die lebende Seele.«
85Und er kommt, es umringt ihn die jubelnde Schar,
86Zu des Königs Füßen er sinkt,
87Den Becher reicht er ihm kniend dar,
88Und der König der lieblichen Tochter winkt,
89Die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum Rande,
90Und der Jüngling sich also zum König wandte:
91»lang lebe der König! Es freue sich,
92Wer da atmet im rosigten Licht!
93Da unten aber ists fürchterlich,
94Und der Mensch versuche die Götter nicht
95Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
96Was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen.
97Es riß mich hinunter blitzesschnell,
98Da stürzt' mir aus felsigem Schacht
99Wildflutend entgegen ein reißender Quell,
100Mich packte des Doppelstroms wütende Macht,
101Und wie einen Kreisel mit schwindelndem Drehen
102Trieb michs um, ich konnte nicht widerstehen.
103Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief
104In der höchsten schrecklichen Not,
105Aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
106Das erfaßt' ich behend und entrann dem Tod,
107Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen,
108Sonst wär er ins Bodenlose gefallen.
109Denn unter mir lags noch, bergetief,
110In purpurner Finsternis da,
111Und obs hier dem Ohre gleich ewig schlief,
112Das Auge mit Schaudern hinuntersah,
113Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen
114Sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen.
115Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch,
116Zu scheußlichen Klumpen geballt,
117Der stachligte Roche, der Klippenfisch,
118Des Hammers greuliche Ungestalt,
119Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
120Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.
121Und da hing ich und wars mir mit Grausen bewußt,
122Von der menschlichen Hülfe so weit,
123Unter Larven die einzige fühlende Brust,
124Allein in der gräßlichen Einsamkeit,
125Tief unter dem Schall der menschlichen Rede
126Bei den Ungeheuern der traurigen Öde.
127Und schaudernd dacht ichs, da krochs heran,
128Regte hundert Gelenke zugleich,
129Will schnappen nach mir; in des Schreckens Wahn
130Laß ich los der Koralle umklammerten Zweig,
131Gleich faßt mich der Strudel mit rasendem Toben,
132Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben.«
133Der König darob sich verwundert schier
134Und spricht: »Der Becher ist dein,
135Und diesen Ring noch bestimm ich dir,
136Geschmückt mit dem köstlichsten Edelgestein,
137Versuchst dus noch einmal und bringst mir Kunde,
138Was du sahst auf des Meeres tiefunterstem Grunde.«
139Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
140Und mit schmeichelndem Munde sie fleht:
141»laßt, Vater, genug sein das grausame Spiel,
142Er hat Euch bestanden, was keiner besteht,
143Und könnt Ihr des Herzens Gelüsten nicht zähmen,
144So mögen die Ritter den Knappen beschämen.«
145Drauf der König greift nach dem Becher schnell,
146In den Strudel ihn schleudert hinein:
147»und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell,
148So sollst du der trefflichste Ritter mir sein
149Und sollst sie als Ehgemahl heut noch umarmen,
150Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen.«
151Da ergreifts ihm die Seele mit Himmelsgewalt,
152Und es blitzt aus den Augen ihm kühn,
153Und er siehet erröten die schöne Gestalt
154Und sieht sie erbleichen und sinken hin,
155Da treibts ihn, den köstlichen Preis zu erwerben,
156Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.
157Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
158Sie verkündigt der donnernde Schall,
159Da bückt sichs hinunter mit liebendem Blick,
160Es kommen, es kommen die Wasser all,
161Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
162Den Jüngling bringt keines wieder.