Georg Weerth: Herr Joseph und Frau Potiphar (1839)

1Als dazumal Herr Potiphar
2Im schönen Land Ägypten
3Noch königlicher Kämmrer war:
4Da bot man den betrübten,
5Den Joseph, ihm als Sklave an
6Und kam nach vielem Schwatzen
7Drin überein, der fremde Mann
8Sei wert ein Zwanzig Batzen.

9Und Potiphar war schlau genung,
10Ihn balde zu erstehen,
11Denn schön war Joseph, rasch und jung
12Und freundlich anzusehen.
13»du sollst«, so sprach der Kämmerling,
14»in meinem Haus regieren
15Ob Brot und Fleisch und ander Ding
16Und mir die Wirtschaft führen.«

17Und übel war's nicht, was er tat.
18Es folgte aller Wegen
19Dem jungen Joseph früh und spat
20Nur Gottes eitler Segen.
21Er war beliebt bei seinem Herrn
22Wie bei der gnäd'gen Frauen,
23Und wie man sagt, sie mochte gern
24Den Judenjungen schauen.

25Er war so frisch, er war so rot,
26Er hatte schlanke Glieder.
27Sie schlug, wenn guten Tag er bot,
28Auch stets die Augen nieder;
29Und träumrisch sah man oft sie gehn
30Am schönen Nilesstrande,
31Allwo die Pyramiden stehn –
32Kirchtürme jener Lande.

33Wenn drauf der kühle Nachttau fiel
34Auf Palmen und auf Tannen
35Und Vogel Strauß und Krokodil
36Ihr Abendlied begannen:
37Da setzte sich die Königin,
38Geschmückt mit goldnen Franzen,
39An ein idyllisch Plätzchen hin
40Und dichtete Romanzen.

41Von Liebe sang sie, das ist wahr,
42Von Rosen und von Küssen,
43Von schwarzen Augen, lock'gem Haar,
44In glühenden Ergüssen.
45Den Redakteur des Wochenblatts
46Ließ morgens sie zitieren,
47Der mußte den poet'schen Schatz
48In Eile publizieren.

49Doch wie's der Liebe wundersam
50Im Leben pflegt zu gehen,
51Der Joseph wollte ihren Gram
52Noch immer nicht verstehen.
53Von Liebe lag sein Herz so fern
54Wie Rom von Flachsenfingen,
55Auch wollte er den gnäd'gen Herrn
56Nicht gern in Schande bringen.

57Da tobte die Ägypterin,
58Sie rang die weißen Hände.
59Schwarz flutete ihr Haupthaar hin,
60Und los um Brust und Lende
61Flog wild ihr purpurnes Gewand –
62So trat sie liebedürstend
63Herein, wo unser Joseph stand,
64Den Sonntagsrock sich bürstend.

65Das Auge Glut, die Lippe Brand,
66Die Wangen wie im Fieber,
67Wie eine Bombe hergesandt
68Aus größestem Kaliber.
69Im Wonnerausch zu Füßen sank
70Sie Jakobs edlem Sohne,
71Und ächzend ihre Stimme klang:
72»bei Gott, du bist nicht ohne!

73Sei mir gegrüßt! Ich liebe dich,
74Du bräunlicher Hebräer.
75O sieh mich an, sieh her und sprich:
76Kann Dichter oder Seher
77Ein schöner Weib im Traume sehn,
78Als du zu deinen Füßen
79Sich winden siehst mit brünst'gem Flehn
80Um deinen Kuß, den süßen?

81Sieh meine Schultern weiß und rund
82Von dunklem Haar umflossen;
83Sieh wie die Ros auf meinen Mund
84All ihren Glanz ergossen,
85Wie diese Brust sich wallend hebt,
86Von Tränen sanft befeuchtet,
87Wie dir mein Herz entgegenbebt,
88Wie dir mein Auge leuchtet!

89Mein Lied erklingt so sehnsuchtschwer
90Wie Murmeln einer Quelle;
91Ich eile flüchtiger daher
92Als Panther und Gazelle.
93Und wilder meine Küsse glühn
94Als Sonn- und Wettergluten,
95Wenn zischend sie herniedersprühn
96Und durch die Wolken fluten.

97Ich wiege dich an meiner Brust
98Zu wundersamen Träumen;
99Ich lasse dir zu höchster Lust
100Den vollen Becher schäumen;
101Und rollt dein Blut und pocht dein Herz
102In immer wildern Schlägen:
103Sanft will ich dann den süßen Schmerz
104Mit neuen Küssen pflegen!«

105So sprach Madame Potiphar
106Und konnt ihn nicht erweichen.
107Der Stockphilister Joseph war
108Ein Esel sondergleichen.
109Er schritt wohl auf die Hausvogtei
110Und hat sich sehr verwundert:
111Wie alsosehr verderbet sei
112Sein lasterhaft Jahrhundert.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Georg Weerth (1822-1856)

* 02/17/1822 in Detmold, † 07/30/1856 in Havanna

männlich, geb. Weerth

- Malaria

deutscher Schriftsteller, Satiriker, Journalist und Kaufmann

(Aus: Wikidata.org)

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