1Die Nacht ist heilig und hehr.
2Dämmernd und schauernd und ahnend ist die
3Nacht.
4Im Mondlicht woget die düstere Waldung,
5Im Mondlicht die Saat den Hügel hinan.
6Wie die Unken läuten im Teich!
7Wie die Nachtigallen den Busch durchflöten!
8Liebliche Kühle durchwehet die Lüfte.
9Die Maynacht ist duftig und thauig
10und hehr!
11Schweigt Nachtigallen! Unken schweigt!
12Schauererinnerung umflistert mich.
13Zwischen vier bemooseten Steinen,
14Unter drey rauschenden Eichen sitz' ich
15hier.
16Über die vier moosbewachsnen Steine,
17Über die drey rauschenden Eichen Fried' und Ruh!
18Die ihr schlummert drunten, Helden, Herr-
19liche,
20Schlummert sanft, die ihr sanket in der
21blutigen Schlacht!
22Die Schlucht brüllte,
23Der Wald brauste,
24Das Meer tosete dumpf auf,
25Als die Herrlichen fielen.
26Sie fielen. Die Feinde frohlockten.
27Verlassen weinten die Bräute.
28Die Barden klagten. Die Übrigbliebnen
29Thürmten das ehrekrönende Mahl.
30Schlaft sanft, ihr Edelgefallnen.
31Schlaft sanft im Ringe der Steine.
32Schlaft sanft — oder steigt herauf
33Mit der benarbeten Stirn, mit dem blut-
34beströmeten Busen.
35Steigt herauf, und reicht mir die Hand
36Voll Schwielen für die Freyheit, die ich liebe,
37wie ihr;
38Ich, eurer Enkel einer,
39Der Späteren, der Schwächeren einer!
40Die Heldenzeiten sind vorüber,
41Vertreten die Spuren der Ahnentugend,
42Verstürme der Freyheit Donnerrufe,
43Verbrüllt die Schlachten für das Vater-
44land.
45Knechtschaft umklirrt
46Die Söhne der Freyen
47Striemen der Despotengeissel
48Brandmalen den Rücken der Heldensöhne.
49Wo ist Biedersitte?
50Wo sind Mädchenblöde und Jünglingsscham?
51Begraben unter dem tausendjährigen Stein;
52Begraben, oder Laut eines Mährleins.
53Reiche mir, Braga, die Harfe! Reiche mir, Wodan,
54 das Schwert!
55Ich fühle flammen in mir der Ahnen Tugend.
56Bey den Edelgefallnen,
57Bey der Eiche und dem Mahlstein, ich
58schwöre der Ahnentugend.
59Schwöre dir, Treue der Väter!
60Schwöre dir, Keuschheit der Ahnen!
61Schwöre der Thorheit unauslöschlichen Hass,
62Ewige Liebe der Väter Einfalt und
63Wahrheit!
64Wie das Moos duftet! Wie die Eiche rauscht!
65Wie der Rohrspaz läutet, und die Nachtigallen
66flöten!
67Der Mond lächelt aus versilberten Wolken,
68Und die thautrunkene Saat wogt glän-
69zend den Hügel hinan.