Wilhelm Busch: Die Brille (1870)

1Des Mittags, als es zwölfe war,
2Setzt sich zu Tisch der Herr Aktuar.

3Er schaut bedenklich, ernst und stille,
4Die Suppe an durch seine Brille.

5Und durch die Brille, scharf und klar,
6Entdeckt er gleich ein langes Haar.

7»nun!« – sprach die Frau – »das kann wohl mal passieren!
8Hast du mich lieb, so wird's dich nicht genieren!«

9Er aber kehrt sich schleunigst um
10Und holt die Flasche, die voll Rum.

11Er trinkt und ist so sehr verstockt,
12Daß selbst die Wurst ihn nicht verlockt.

13»ach!« denkt die Frau, »wie wird das enden!«
14Und sucht die Flasche zu entwenden.

15Doch hierin kennt er keinen Spaß:
16»gleich stell' sie her! Sonst gibt es was!«

17Und schon ergreift er mit der Hand
18Den Stock, der in der Ecke stand.

19Die Frau versucht zu fliehn; indes
20Der Hakenstock verhindert es.

21Ein Schlag, gar wohlgezielt und tüchtig,
22Trifft und zerbricht die Flasche richtig.

23Nun nimmt die Frau die Sache krumm
24Und kehrt sich zur Attacke um.

25Sie hat die Brill' und freut sich sehr,
26Der Mann steht da und sieht nichts mehr.

27Er tappt herum als blinder Mann,
28Ob er den Feind nicht finden kann.

29Und tappt in seiner blinden Wut –
30Autsch! – an des Ofens heiße Glut.

31Er dreht sich um und allbereits
32Brennt ihn der Ofen anderseits.

33Nun aber wird die Wut erst groß –
34Was es auch sei – er haut drauf los.

35Die Suppenschüssel, Wurst und Glas
36Wird ruiniert, der Hund wird naß.

37Und Frau und Hund entfliehn; doch er
38Fällt mit dem Stuhl schnell hinterher.

39Voll Eifer will er nach, und ach!
40Rennt an die Tür mit großem Krach.

41Nun ist's zu Ende mit dem Rasen;
42Das rote Blut rinnt aus der Nasen.

43Und demutsvoll und flehentlich
44Bemüht er um die Brille sich.

45Er nimmt mit Freud' und Dankgefühl
46Die Brille von dem Besenstiel.

47So triumphiert das brave Weib. –
48Die Wurst hat Tapp, der Hund, im Leib.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Wilhelm Busch (1832-1908)

* 04/15/1832 in Wiedensahl, † 01/09/1908 in Mechtshausen

männlich, geb. Busch

deutscher Verfasser von satirischen in Verse gefassten Bildergeschichten (1832-1908)

(Aus: Wikidata.org)

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