Wilhelm Busch: Die beiden Schwestern (1870)

1Es waren mal zwei Schwestern,
2ich weiß es noch wie gestern.
3Die eine namens Adelheid
4war faul und voller Eitelkeit.
5Die andre die hieß Käthchen
6und war ein gutes Mädchen.
7Sie quält sich ab von früh bis spät,
8wenn Adelheid spazierengeht.
9Die Adelheid trank roten Wein,
10dem Käthchen schenkt sie Wasser ein.

11Einst war dem Käthchen anbefohlen,
12im Walde dürres Holz zu holen.
13Da saß an einem Wasser
14ein Frosch, ein grüner, nasser;
15der quackte ganz unsäglich,
16gottsjämmerlich und kläglich:
17»erbarme dich, erbarme dich,
18ach, küsse und umarme mich!«

19Das Käthchen denkt:
20»ich will's nur tun,
21sonst kann der arme
22Frosch nicht ruhn!«
23Der erste Kuß
24schmeckt recht abscheulich.
25Der gräsiggrüne Frosch
26wird bläulich.

27Der zweite schmeckt schon
28etwas besser;
29der Frosch wird bunt
30und immer größer.

31Beim dritten gibt es ein Getöse,
32als ob man die Kanonen löse.

33Ein hohes Schloß
34steigt aus dem Moor,
35ein schöner Prinz
36steht vor dem Tor.
37Er spricht:
38»lieb Käthchen, du allein
39sollst meine
40Herzprinzessin sein!«

41Nun ist das Käthchen hochbeglückt,
42kriegt Kleider schön mit Gold gestickt
43und trinkt mit ihrem Prinzgemahl
44aus einem goldenen Pokal.
45Indessen ist die Adelheid
46in ihrem neusten Sonntagskleid
47herumspaziert an einem Weiher,
48da saß ein Knabe mit der Leier.
49Die Leier klang, der Knabe sang:
50»ich liebe dich, bin treu gesinnt;
51komm, küsse mich, du hübsches Kind!«

52Kaum küßt sie ihn,
53so wird er grün,
54so wird er struppig,
55eiskalt und schuppig.

56Und ist, o Schreck!
57der alte, kalte Wasserneck.

58»ha!« – lacht er – »diese hätten wir!!«
59Und fährt bis auf den Grund mit ihr.

60Da sitzt sie nun bei Wasserratzen,
61muß Wassernickels Glatze kratzen,
62trägt einen Rock von rauhen Binsen,
63kriegt jeden Mittag Wasserlinsen;
64und wenn sie etwas trinken muß,
65ist Wasser da im Überfluß.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Wilhelm Busch (1832-1908)

* 04/15/1832 in Wiedensahl, † 01/09/1908 in Mechtshausen

männlich, geb. Busch

deutscher Verfasser von satirischen in Verse gefassten Bildergeschichten (1832-1908)

(Aus: Wikidata.org)

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