Wilhelm Busch: Erstes Kapitel (1870)

1Das Reden tut dem Menschen gut;
2Wenn man es nämlich selber tut;
3Von Angstprodukten abgesehn,
4Denn so etwas bekommt nicht schön.

5Die Segelflotte der Gedanken,
6Wie fröhlich fährt sie durch die Schranken
7Der aufgesperrten Mundesschleuse
8Bei gutem Winde auf die Reise
9Und steuert auf des Schalles Wellen
10Nach den bekannten offnen Stellen
11Am Kopfe in des Ohres Hafen
12Der Menschen, die mitunter schlafen.

13Vor allen der Politikus
14Gönnt sich der Rede Vollgenuß;
15Und wenn er von was sagt, so sei's,
16Ist man auch sicher, daß er's weiß.

17Doch andern, darin mehr zurück,
18Fehlt dieser unfehlbare Blick.
19Sie lockt das zartere Gemüt
20Ins anmutreiche Kunstgebiet,
21Wo grade, wenn man nichts versteht,
22Der Schnabel um so leichter geht.

23Fern liegt es mir, den Freund zu rügen,
24Dem Tee zu kriegen ein Vergnügen
25Und im Salon mit geistverwandten
26Ästhetisch durchgeglühten Tanten
27Durch Reden bald und bald durch Lauschen
28Die Seelen säuselnd auszutauschen.
29Auch tadl' ich keinen, wenn's ihn gibt,
30Der diese Seligkeit nicht liebt,
31Der keinen Tee mag, selbst von Engeln,
32Dem's da erst wohl, wo Menschen drängeln.
33Ihn fährt die Droschke, zieht das Herz
34Zu schönen Opern und Konzerts,
35Die auch im Grund, was nicht zu leugnen,
36Zum Zwiegespräch sich trefflich eignen.
37Man sitzt gesellig unter vielen
38So innig nah auf Polsterstühlen,
39Man ist so voll humaner Wärme,
40Doch ewig stört uns das Gelärme,
41Das Grunzen, Plärren und Gegirre
42Der musikalischen Geschirre,
43Die eine Schar im schwarzen Fracke
44Mit krummen Fingern, voller Backe,
45Von Meister Zappelmann gehetzt,
46Hartnäckig in Bewegung setzt.
47So kommt die rechte Unterhaltung
48Nur ungenügend zur Entfaltung.

49Ich bin daher, statt des Gewinsels,
50Mehr für die stille Welt des Pinsels;
51Und, was auch einer sagen mag,
52Genußreich ist der Nachmittag,
53Den ich inmitten schöner Dinge
54Im lieben Kunstverein verbringe;
55Natürlich meistenteils mit Damen.
56Hier ist das Reich der goldnen Rahmen,
57Hier herrschen Schönheit und Geschmack,
58Hier riecht es angenehm nach Lack;
59Hier gibt die Wand sich keine Blöße,
60Denn Prachtgemälde jeder Größe
61Bekleiden sie und warten ruhig,
62Bis man sie würdigt, und das tu ich.
63Mit scharfem Blick, nach Kennerweise,
64Seh ich zunächst mal nach dem Preise,
65Und bei genauerer Betrachtung
66Steigt mit dem Preise auch die Achtung.
67Ich blicke durch die hohle Hand,
68Ich blinzle, nicke: »Ah, scharmant!
69Das Kolorit, die Pinselführung,
70Die Farbentöne, die Gruppierung,
71Dies Lüster, diese Harmonie,
72Ein Meisterwerk der Phantasie.
73Ach, bitte, sehn Sie nur, Komteß!«
74Und die Komteß, sich unterdeß
75Im duftigen Batiste schneuzend,
76Erwidert schwärmrisch: »Oh, wie reizend!«
77Und wahrlich! Preis und Dank gebührt
78Der Kunst, die diese Welt verziert.

79Der Architekt ist hochverehrlich,
80(obschon die Kosten oft beschwerlich)
81Weil er uns unsre Erdenkruste,
82Die alte, rauhe und berußte,
83Mit saubern Baulichkeiten schmückt,
84Mit Türmen und Kasernen spickt.

85Der Plastiker, der uns ergötzt,
86Weil er die großen Männer setzt,
87Grauschwärzlich, grünlich oder weißlich,
88Schon darum ist er löb- und preislich,
89Daß jeder, der z.B. fremd
90Soeben erst vom Bahnhof kömmt,
91In der ihm unbekannten Stadt
92Gleich den bekannten Schiller hat.

93Doch größern Ruhm wird der verdienen,
94Der Farben kauft und malt mit ihnen.

95Wer weiß die Hallen und dergleichen
96So welthistorisch zu bestreichen?
97Al fresco und für ewig fast,
98Wenn's mittlerweile nicht verblaßt.
99Wer liefert uns die Genresachen,
100So rührend oder auch zum Lachen?
101Wer schuf die grünen Landschaftsbilder,
102Die Wirtshaus- und die Wappenschilder?
103Wer hat die Reihe deiner Väter
104Seit tausend Jahren oder später
105So meisterlich in Öl gesetzt?
106Wer wird vor allen hochgeschätzt?
107Der Farbenkünstler! Und mit Grund!
108Er macht uns diese Welt so bunt.

109Darum, o Jüngling, fasse Mut;
110Setz auf den hohen Künstlerhut
111Und wirf dich auf die Malerei;
112Vielleicht verdienst du was dabei!

113Nach diesem ermunterungsvollen Vermerke
114Fahren wir fort im löblichen Werke.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Wilhelm Busch (1832-1908)

* 04/15/1832 in Wiedensahl, † 01/09/1908 in Mechtshausen

männlich, geb. Busch

deutscher Verfasser von satirischen in Verse gefassten Bildergeschichten (1832-1908)

(Aus: Wikidata.org)

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