Ludwig Tieck: Wohlauf und geh in den vielgrünen Wald Titel entspricht 1. Vers(1813)

1Wohlauf und geh in den vielgrünen Wald,
2Da steht der rothe frische Morgen,
3Entlade dich der bangen Sorgen,
4Und sing' ein Lied, das fröhlich durch die Zweige schallt!
5Es blitzt und funkelt Sonnenschein
6Wohl in das grüne Gebüsch hinein,
7Und munter zwitschern die Vögelein. –

8– Ach nein! ich geh nimmer zum vielgrünen Wald,
9Das Lied der süßen Nachtigall schallt,
10Und Thränen,
11Und Sehnen
12Bewegt mir die bange, die strebende Brust,
13Im Walde, im Walde wohnt mir keine Lust,
14Denn Sonnenschein,
15Und hüpfende Vögelein,
16Sind mir Marter und Pein!

17Einst fand ich den Frühling im grünenden Thal,
18Da blühten und dufteten Rosen zumahl,
19Durch Waldesgrüne
20Erschiene
21Im Eichenforst wild
22Ein süßes Gebild:
23Da blitzte Sonnenschein,
24Es sangen Vögelein
25Und riefen die Geliebte mein.

26Sie ging mit Frühling Hand in Hand,
27Die Weste küßten ihr Gewand,
28Zu Füßen
29Die süßen
30Viol und Primeln hingekniet
31Indem sie still vorüberzieht,
32Da gingen ihr die Töne nach
33Da wurden alle Stimmen wach,
34Da girrte Nachtigall noch zärtlicher ihr Ach!

35Mich traf ihr wundersüßer Blick:
36Woher? wohin du goldnes Glück?
37Die Schöne,
38Die Töne,
39Die rauschenden Bäume,
40Wie goldene Träume!
41Ist dies noch der Eichengrund?
42Grüßt mich dieser rothe Mund?
43Bin ich todt, bin ich gesund?

44Da schwanden mir die alten Sorgen
45Und neue kehrten bei mir ein,
46Ich traf die Maid an jedem Morgen
47Und schöner grünte stets der Hain.
48Lieb' wie süße
49Deine Küsse!
50Glänzend schönste Zier
51Wohne stets bei mir,
52Im vielgrünen Walde hier! –

53Ich ging hinaus im Morgenlicht
54Da kam die süße Liebe nicht;
55Vom Baum hernieder
56Schrie Rabe seine heisern Lieder:
57Da weint und klagt ich laut,
58Doch nimmer kam die Braut, –
59Und Morgenschein,
60Und Vögelein
61Nur Angst und Pein!

62Ich suchte sie auf und ab, über Berge, Thälerwärts,
63Ich sah manche fremde Ströme fließen,
64Aber ach! mein liebend banges Herz
65Nimmer fand's die Gegenwart der Süßen;
66Einsam blieb de Wald,
67Da kam der Winter kalt;
68Vöglein,
69Sonnenschein
70Flohen aus dem Walde mein. –

71Ach! schon viele Sommer stiegen nieder,
72Oftmals kam der Zug der Vögel wieder,
73Oft hat sich der Wald in Grün gekleid't,
74Niemals kam zurück die süße Maid.
75Zeit! Zeit.
76Warum trägst du so grausamen Neid?

77Ach! sie kommt vielleicht auf fremden Wegen
78Unbekannter Weis' mir bald entgegen,
79Aber Jugend ist von mir gewichen,
80Ihre schönen Wangen sind erblichen,
81Kömmt sie auch hinab zum Eichengrund
82Kenn' ich sie nicht mehr am rothen Mund.
83O Leide
84Fremd sind wir uns beide!
85Keiner kennt den andern
86Im Wandern!

87Wer Jüngling ist der wandle munter
88Den Wald hinunter,
89Wohl mags, daß ihm Treulieb' entgegen ziehet
90Dann blühet
91Aus allen Knospen Frühling auf ihn ein: –
92Doch niemals treff' ich die verlohrne Jugend mein,
93Drum ist mir Sonnenschein
94Die Nachtigall im Hayn
95Nur Quaal und Pein! –

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Ludwig Tieck (1773-1853)

* 05/31/1773 in Berlin, † 04/28/1853 in Berlin

männlich, geb. Tieck

deutscher Dichter, Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer der Romantik

(Aus: Wikidata.org)

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