Ludwig Tieck: Abschied von Rom (1813)

1Noch fühl' ich der theuren Schwester brennende Thräne,
2Und den liebenden Druck des zärtlichen Bruders,
3Nacht umfängt mich und bringt den Freunden
4Die tiefe Bewegung meiner Brust.

5So war denn auch diese Lebens-Aera geschlossen?
6Brause nur Rom, mit deinen Brunnen,
7Wie Schluchzen klingt es mir herüber,
8Da vernehm' ich selbst das Donnern
9Der großen Fontana di Trevi,
10Bei der ich oft in Nächten verweilt,
11Der ich mich viel am Tage gefreut,
12Lebt wohl, ihr Plätze, ihr Säulen,
13Du großes verstörtes Haus, jetzt Heiligthum,
14Du Coliseum, das ich noch jüngst
15Beim Glanz des Vollmonds durchschritten,
16Deine Gewölbe besucht, als die Freunde
17Ueberkletternd den Eremiten weckten.

18Du Sankt Peter, nie seh' ich dich wieder,
19Edler stets, und größer, majestätischer und heiliger,
20Aber auch erfreulicher, behaglicher, umfängst du den Wandrer,
21Je öfter er deinen königlichen Raum besucht.

22Schon sind wir durch das Thor. –
23Da denk' ich des Vatikans
24Und der göttlichen Dichtungen Rafaels,
25Der erhabnen Sistina,
26Und auch des heimlichen Stübchens oben,
27Wo in der stillen Einsamkeit
28Ich die Pergamente las und in Lust mir vieles schrieb,
29Indeß durch die heiße ruhende Luft
30Ein ferner Ambos und Hammer lieblich erklang.
31Wie oft sah ich dann rückkehrend die Götterbilder,
32Und die freundlichen Logen. –

33Alles versinkt jetzt hinter mir:
34Noch glänzt im innern Auge das farnesische Gartenhaus,
35Die Blumendichtung von Amor und Psyche,
36Und die trunkne Galathea;
37Wen hier nicht Lebenslust anlacht,
38Heiterkeit und Muthwill grüßen,
39Der entsage der Kunst und Farbe.
40Aber auch Lebewohl dir,
41Pallast Farnese,
42Wo ich gelernt in herrlichen Bildern
43Des Carracci Dichtung bewundern;
44O was nenn' ich, was verschweig' ich,
45Das Gedächtniß ermüdet,
46Alle die Wunder, die großen Erinnerungen,
47Aller der Steine und Tafeln Pracht,
48Des Erzes Bildwerk wiederzusagen.

49Mit kindlicher Rührung pilgerte ich auch zu dir,
50Grabmal der Cäcilia Metalla,
51Das ich mit seinen wilden Ruinen umher
52Schon längst in frühen Träumen beschrieb,
53Und oft in Gedanken damals
54Vor der Porta Sebastiana mich erging.

55Nun vernimmt mein Ohr nicht wieder
56Den heiligen Gesang, dich Palestrina,
57Der du wie mit Engelsfittigen
58Dich in dem Born des Paradieses tauchst,
59Aufrichtest du dich im klaren Morgenlicht,
60Schüttelst die großen farbigen Schwingen,
61Und nieder fließen die Tropfen
62In hellen, reinen Himmelstönen.

63Ungern auch vermiß ich die heitern Klänge,
64Das bewegte Leben der Opern und Theater,
65Von den Franken noch heftiger aufgeregt.
66So vollendet seh ich vielleicht das Lustspiel nie mehr,
67Wie es diese Frauen und Jünglinge zeigten,
68Und der treffliche Perthica.

69Vielleicht auch seh ich nie die Künstler wieder,
70Die in vielen Stunden mich erfreut.
71Dich vor allen begrüß' ich, edler Freund,
72Dich, treflicher Schick, dein freundliches Gemüth,
73Dein klarer Sinn wird schöne Gebilde dichten,
74Wenn die Parze dir den Lebensfaden spinnt,
75Vollende dein Apollo unter den Hirten,
76Welcher verkündigt, was du vermocht.

77Schon erhebt sich der Tag
78Und weit hinter uns liegt Rom,
79Auch mein Freund ist ernst,
80Der mit mir nach Deutschland kehrt,
81Der mit allen Lebenskräften
82Sich in alte und neue Kunst gesenkt,
83Der edle Rumohr,
84Deß Freundschaft ich in mancher kranken Stunde
85Trost und Erheitrung danke.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Ludwig Tieck (1773-1853)

* 05/31/1773 in Berlin, † 04/28/1853 in Berlin

männlich, geb. Tieck

deutscher Dichter, Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer der Romantik

(Aus: Wikidata.org)

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