Friedrich Hölderlin: Das Schicksal (1826)

1Als von des Friedens heil'gen Thalen,
2Wo sich die Liebe Kränze wand,
3Hinüber zu den Göttermahlen
4Des goldnen Alters Zauber schwand,
5Als nun des Schicksals eh'rne Rechte,
6Die große Meisterin, die Noth
7Dem übermüthigen Geschlechte
8Den langen, bittern Kampf gebot:

9Da sprang er aus der Mutter Wiege,
10Da fand er sie, die schöne Spur
11Zu seiner Tugend schwerem Siege,
12Der Sohn der heiligen Natur;
13Der hohen Geister höchste Gabe,
14Der Tugend Löwenkraft begann,
15Im Siege, den ein Götterknabe
16Den Ungeheuern abgewann.

17Es kann die Lust der goldnen Ernte
18Im Sonnenbrande nur gedeih'n;
19Und nur in seinem Blute lernte
20Der Kämpfer, frei und stolz zu seyn;
21Triumph! die Paradiese schwanden;
22Wie Flammen aus der Wolke Schoos,
23Wie Samen aus dem Chaos, wanden
24Aus Stürmen sich Heroen los.

25Der Noth ist jede Lust entsprossen,
26Und unter Schmerzen nur gedeiht
27Das Liebste, was mein Herz genossen,
28Der holde Reiz der Menschlichkeit;
29So stieg, in tiefer Fluth erzogen,
30Wohin kein sterblich Auge sah,
31Stilllächelnd aus den schwarzen Wogen
32In stolzer Blüthe Cypria.

33Durch Noth vereiniget, beschwuren,
34Vom Jugendtraume süß berauscht,
35Den Todesbund die Dioskuren,
36Und Schwerdt und Lanze ward getauscht;
37In ihres Herzens Jubel eilten
38Sie, wie ein Adlerpaar, zum Streit,
39Wie Löwen ihre Beute, theilten
40Die Liebenden Unsterblichkeit.

41Die Klagen lehrt die Noth verachten,
42Beschämt und ruhmlos läßt sie nicht
43Die Kraft der Jünglinge verschmachten,
44Giebt Muth der Brust, dem Geiste Licht;
45Der Greise Faust verjüngt sie wieder;
46Sie kömmt wie Gottes Blitz heran,
47Und trümmert Felsenberge nieder,
48Und wallt auf Riesen ihre Bahn.

49Mit ihrem heil'gen Wetterschlage,
50Mit Unerbittlichkeit vollbringt
51Die Noth an Einem großen Tage,
52Was kaum Jahrhunderten gelingt;
53Und wenn in ihren Ungewittern
54Selbst ein Elysium vergeht,
55Und Welten ihrem Donner zittern —
56Was groß und göttlich ist, besteht.

57O du, Gespielin der Kolossen,
58O weise, zürnende Natur,
59Was je ein Riesenherz beschlossen,
60Es keimt in deiner Schule nur;
61Wohl ist Arkadien entflohen,
62Des Lebens bess're Frucht gedeiht
63Durch sie, die Mutter der Heroen,
64Die eherne Nothwendigkeit.

65Für meines Lebens goldnen Morgen
66Sey Dank, o Pepromene, dir!
67Ein Saitenspiel und süße Sorgen
68Und Träum' und Thränen gabst du mir!
69Die Flammen und die Stürme schonten
70Mein jugendlich Elysium,
71Und Ruh' und stille Liebe thronten
72In meines Herzens Heiligthum.

73Es reife von des Mittags Flamme,
74Es reife nur von Kampf und Schmerz
75Die Blüth' am grenzenlosen Stamme,
76Wie Sprosse Gottes, dieses Herz!
77Beflügelt von dem Sturm, erschwinge
78Mein Geist des Lebens höchste Lust,
79Der Tugend Siegeslust verjünge
80Bei kargem Glücke mir die Brust!

81Im heiligsten der Stürme falle
82Zusammen meine Kerkerwand,
83Und herrlicher und freier walle
84Mein Geist in's unbekannte Land!
85Hier blutet oft der Adler Schwinge;
86Auch drüben warte Kampf und Schmerz!
87Bis an der Sonnen letzte ringe,
88Genährt vom Siege, dieses Herz!

(Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Author

Friedrich Hölderlin (1770-1843)

* 03/20/1770 in Lauffen am Neckar, † 06/07/1843 in Tübingen

männlich, geb. Q114498136

deutscher Lyriker (1770-1843)

(Aus: Wikidata.org)

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