1So war's. So stand ich: dumpf, doch fühlend: stumm:
2im roten Saal, reglos, in dunkler Ecke:
3dumpf, starr und fühlend: schwer: Stein unter Steinen:
4bang: starr, und fühlend! –
5Die schlanken Alabastersäulen leuchten;
6vom hohen Saum der Purpurkuppel hängen
7und glänzen weit ihr silbern Licht herab
8im Doppelkreis die großen weißen Ampeln;
9die roten Nischen bergen zarte Schatten
10und spiegeln sich im blanken Pfeilerwerk;
11es ist so still ...
12Und stumm gleich mir und unbewegt, von Nische
13zu Nische, stehn Gestalten: Mann und Weib.
14In weißer Nacktheit stehn sie schimmernd da;
15die glatten Sockelblenden werfen Strahlen;
16die roten Wände füllen lebensweiche
17geheime Schmelze um den Rand der Glieder;
18von Kraft und Ruhe träumt der reine Stein;
19sie sind so schön ...
20Ich aber hocke in der dunklen Ecke
21und fühle meines Leibes Magerkeit
22und meiner Stirne graue Sorgenfurchen
23und meiner Hände rauhe Häßlichkeit.
24In meinem Staub, in meinen Straßenlumpen
25mißfarben angetüncht, so hocke ich
26auf fahlem Postamente, steif und bang,
27vor ihrer Nacktheit mich der Kleider schämend:
28Stein unter Steinen ...
29Nur Einer atmet in der stillen Halle.
30Dort in der Mitte, auf dem mattgestreiften
31eisblassen Marmor, liegt im Dornenkranz,
32blutstropfenübersät die bleiche Stirn,
33ein Mensch und schläft. Sein weißer Mantel hebt sich
34in langen Falten leise auf und nieder.
35Im Silberlicht der Ampeln glänzen rötlich
36der schmale Bart, das schwere, weiche Haar.
37Hinauf zur Kuppel bebt der milde Mund;
38so lautlos schön ...
39Nun kommt ein Seufzen durch den stummen Glanz.
40Die stillen Lippen haben sich geöffnet.
41Im blanken Alabaster spiegelt sich
42des blutbesprengten Hauptes leise Regung.
43Klar, langsam thun zwei große blaue Augen
44empor zur Purpurwölbung weit sich auf,
45sanft auf; und alles Rot und Weiß des großen
46Gemaches überleuchtet dieser großen
47verklärten Augensterne dunkeltiefes,
48unsäglich tiefes, dunkles, sanftes Blau.
49So steht er auf ...
50Da scheinen sich die Steine rings zu rühren,
51die weißen Glieder eigner sich zu röten,
52und nur von Sehnsucht starr. Er aber wandelt.
53Die Dornenkrone bebt; und wie er sacht
54von Postament zu Postamente schreitet,
55und Wen er ansieht mit den blauen Augen,
56der lebt und steigt in Schönheit zu ihm nieder,
57Der lebt, Der lebt! –
58Und steigend, wandelnd, aus den Purpurzellen,
59in warmer Nacktheit leuchtend Leib an Leib,
60folgt Paar auf Paar ihm von den Marmorschwellen,
61so stolz, so stolz, umschlungen Mann und Weib.
62Von ihren Stirnen, von den lichtbetauten
63sorglosen Lippen ein Erwachen flieht,
64der weite Saal erklingt von Menschenlauten,
65es schwebt ein Lied.
66Es schwebt und klingt: »So wandeln wir in Klarheit
67und wissen aller Sehnsucht Sinn und Ziel:
68in Unsrer Schönheit haben wir die Wahrheit,
69zur Freude reif, und frei zum kühnen Spiel!«
70So schwebt das Lied ...
71Ich aber hocke in der dunklen Ecke,
72und fühle meiner Glieder Häßlichkeit
73und meiner Stirne graue Sorgenfurchen,
74und fühle neidisch ihre warme Nacktheit
75und frierend ihren Jubel – ich ein Stein.
76Von Pfeiler hell zu Pfeiler tönt der Zug,
77des stillen Wandlers Dornenkrone bebt,
78ich aber bebe mit in meinen Lumpen
79und warte, warte auf die blauen Augen
80und will
81Und näher glänzt und klingt es um die Säulen;
82vom letzten Sockel folgt ein Mädchen ihm;
83er kommt! er kommt! –
84Und er steht vor mir. Da verstummt der Zug;
85ich fühle ihre stolzen Augen staunen
86und fühle seine, seine Augen ruhn
87in meinen, ruh'n, und will mich an ihn werfen
88und will ihm küssen seinen milden Mund,
89da brechen perlend seine Wunden auf,
90die bleiche Stirn, die Lippe zuckt, – er spricht,
91ihm schießen Thränen durch den blutigen Bart,
92spricht: »Deine Stunde ist noch nicht gekommen!«
93Und ich erwachte. Weinend lag ich nackt;
94nackt wie die Armut.