1Ich lag in Zweifeln schon die halbe Nacht:
2Mich treibt ein Geist, und folgen muß ich ihm,
3doch
4ist's Eitelkeit? so rang ich mit der Nacht.
5Und furchtsam dacht ich an das unverstandne
6Gebet der Kindheit: nicht wie Ich will, Vater,
7in Deine Hand befehl ich meinen Geist!
8Und heftiger rang ich, wie einst Jesus rang.
9Da bannte mich der Geist in Traum. Ich stand
10an eines Weltmeers aufgewühlter Fläche.
11Sehr finster war's. Doch finstrer ragte noch,
12zackig ins Himmelsdunkel hochgetürmt,
13ein starr Gebilde wie ein Felseneiland.
14Dumpf um es schnob und brodelte die Flut,
15und ich erkannte, eine Sintflut war's,
16die ein verwittertes Stück Welt zerfraß.
17Auf einmal wurde Licht; grell quoll der Mond
18durchs wechselnde Gewölk, die Brandung glänzte,
19und hoch im Gischt in grauenhafter Ohnmacht
20rangen zwei letzte Menschen, Mann und Weib.
21Ich sah sie sinken. Doch noch Einmal tauchte
22das Weib krampfhaft aus Sturz und Strudel auf:
23der nackte Körper bäumte sich im Schaum,
24und schimmernd, während ihn der Schwall verschlang,
25entwand sich ihrem zuckenden Schooß ein Kind.
26Da war's, als käm ein Staunen in den Aufruhr;
27der Mond besänftigte die wüste Flut,
28die Wellen hüpften um das kleine Leben
29und wuschen es und wiegten es und trugen
30es langsam durch die Klippen an das Eiland.
31Und nun gewahrt'ich auf dem schroffen Gipfel
32ein andres Weib. Schwarz, ganz und gar verhüllt,
33in riesenhafter Starrheit saß sie da;
34es war, als ob ihr Haupt die Wolken streifte,
35einäugig starrte sie aufs Meer hinab,
36und bis ins Mark verwirrte mich der Blick.
37Doch furchtlos langte nach ihr auf das Kind.
38Und nieder zu ihm neigte sich die Hohe,
39und nahm es mit gelassner Hand ans Herz,
40und öffnete die Tücher ihrer Brust,
41und tränkte es, und küßte es, und schaute
42ihm traumhaft in die Augen; liebreich glomm
43ihr Blick hinüber in des Kindes Blick,
44als zündete sie drin das Seelchen an.
45Und in dem Arm der Riesin wuchs das Kind,
46und wuchs, und sprach das erste Wort, und wuchs.
47Da nahm es von der Brust die Rätselhafte
48und setzte mit gelassner Hand es wieder
49hinab ans Ufer, wo ein neues Land
50sich aus den Fluten hob, und hieß es gehen;
51ihr stummer Blick wies in die blasse Ferne,
52dann saß sie starr und dunkel wieder da.
53Auf stand der Knabe, Furcht befiel auch ihn,
54der erste Schmerz verstörte seine Stirne;
55und scheu gehorchte er, und ging, und wuchs,
56und immer wachsend ging er immer weiter,
57bis ich im Morgendunst des Horizonts
58ihn einem Schatten gleich verschwinden sah.
59Nicht achtete das Weib des Wandrers mehr;
60weitäugig starrte sie hinaus aufs Wasser,
61als müßten immer neue Menschlein kommen,
62sich Leben holen hoch an ihrer Brust.
63Da konnt ich ihren Blick nicht länger dulden:
64nur Einmal wollt ich in dies Auge sehn,
65dies Geisterauge, das dort oben über
66der grauen Flut aus seiner schroffen Höhe
67so groß und bleich im Mondlicht flimmerte.
68Und bittend, bettelnd hob ich meine Hände:
69O komm! komm her zu mir und sieh mich an,
70wie du den Säugling ansahst! Einmal nur
71tu mir das Wunder deines Wesens auf!
72Gib mir Erkenntnis! gib mir Ruhe, Ruhe –
73Da stieg sie dröhnend von dem Felsgrat nieder.
74Vor ihren Schritten teilte sich die See.
75Und näher, immer näher kam sie dröhnend.
76Vor Schreck und Jubel sank ich in die Kniee.
77Selige Tränen übermannten mich.
78In strudelnden Farben floß ein Lichtmeer um mich.
79Da stand sie vor mir, beugte sich herab.
80Mit bleierner Faust umspannte sie mein Kinn
81und bog es hoch. Aus meinen Tränen mußt ich
82sie ansehn: Aug in Auge – oh Erkenntnis:
83Stein war es! Stein! ein glotzender Opal! –
84Laut schrie ich in die Nacht, und wachte auf;
85da sah ich weinend in den grellen Mond.
86. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87Ohnmacht, Scham, Verzweiflung, Selbstgefühl
88schrien mir zu: Spei deiner Qual ins Antlitz!
89Lachhaft, lachhaft ist dein Kampfgewühl,
90Gottnatur ist Menschenwahnwitz!
91Menschheit ist ein sehnsuchtstrübes Rühricht,
92überspannt von einem Regenbogen.
93Darauf steht die schillernde Inschrift:
94hier wird grenzenlos gelogen!
95Brauchst du Rausch, den hat dir echt und klar
96Noah nach der Sündflut schon erschlossen!
97Und ich brauchte ihn fürwahr.
98Wißt ihr's noch, ihr alten Zechgenossen?
99Strindberg, herrlichster der Hasser,
100Scheerbart, heiliges Riesenkänguruh,
101und vor Allen Du, mein blasser,
102vampyrblasser Stachu du,
103der mit mir durch manche Hölle
104bis vor manchen Himmel kroch,
105Cancan tanzend auf der schwindelnden Schwelle –
106Przybyszewski, weißt du noch:
107wie wir, spielend mit der blöden
108Sucht nach unserm Seelenheile,
109aufgestachelt von der öden
110Wüstenluft der Langenweile
111und der Glut der Toddydünste,
112unser Meisterstück begingen
113in der schwierigsten der Künste:
114über unsern Schatten zu springen?!
115Wie wir jedes Weib verpönten,
116das nicht männlich mit uns tollte;
117wie wir selbst auf Nietzsche höhnten,
118der noch »Werte« predigen wollte!
119Denn auch wir, wir waren Jeder
120mehr als weiland Faust verschrien.
121Darum schrieb ich auf mein Dichterkatheder:
122Doctor sämtlicher Philosophieen!
123Und da sah ich endlich sie erscheinen,
124die noch niemals jemand sah,
125sie, die Schöpferin des All-Einen,
126sie, des Satans Großmama: