Joseph Viktor von Scheffel: Pumpus von Perusia (1856)

1Feucht hing die Sonne. Des Novembers Schauer ging
2Mit leisem Frösteln durch das Land Hetruria.
3Ein mildes Kopfweh, erst der jüngsten Nacht entstammt,
4Durchsäuselte die Luft mit mattem Flügelschlag
5Und ein Gefühl von Armut lag auf Berg und Tal.
6Der heilige Ölbaum, dem das letzte gelbe Blatt
7Der Wind verweht, reckt' traurig seine Äste aus,
8So kahl und öd', als fehl' ihm das Notwendigste.
9Verdächtig selbst das Straßenpflaster. Blödem Aug'
10Schien des Basaltes urgebirgig fester Stoff
11Verwandelt heut in sehr poröses Tropfgestein,
12Und alles – alles – alles sah durchlöchert aus.
13So war der Tag, da in der ersten Frühestund'
14Ein müder Held aus Populonias Toren zog.
15Vergeblich warf von dem kyklopischen Mauerwall
16Der Wächter einen trinkgeldhoffnungvollen Blick,
17Er hielt ihn aus – und schaute starr – und gab ihm nichts.

18Dort, wo der Weg sich einbiegt gegen Suessulae
19Und eines Priesters kegelturmgeziertes Grab
20Trübtraurig seinen Schatten wirft ins Blachgefild,
21Dort hielt er still – und stieß den Speer ins Riedgras ein
22Und suchte lang' in seiner Chlamys Faltenwurf,
23Und suchte wieder – suchte auch zum drittenmal
24Und fand nicht, was er suchte ...
25O wer kennt den Schmerz
26Der auf sich bäumt im biederen Etruskerherz,
27Wenn alles – alles – alles auf die Neige ging
28Und nur der Graus des Leeren in der Tasche wohnt,
29Wo der Sesterz sonst fröhlich beim Denar erklang!...

30Den Helm abnehmend von dem schwerbedrückten Haupt,
31Fuhr mit der Rechten langsam er zur Stirn empor.
32Gen Populonia rückwärts flog sein feuchter Blick
33Und blaue Blitze leuchteten im Heldenaug'.
34»o Wirtshaus zur Chimära!« sprach er wehmutvoll,
35»ist
36Der vor drei Tagen krächzend mir zur Linken strich?
37Sprach
38O Wirtshaus zur Chimära! was ist lieblicher
39Als einzuziehn, ein Gastfreund, in dein Gastgemach?
40Verständig waltet dort ein vielgeübter Wirt,
41Und edle Helden sitzen um den kühlen Trank,
42Den von dem Berg herabgesendet Dimeros.

43Weisheit entströmt bedachtsam zechender Männer Mund
44Zumal an jenem obern, linnenweißen Tisch,
45Wo Tegulinums Augur, später Mitternacht
46Trotz bietend, ausharrt, einer ehernen Säule gleich,
47Und sternenkundig vorsingt in dem Rundgesang.
48O Wirtshaus zur Chimära! doch sag' an, wohin,
49Wohin verschwindet ... ha! was spricht mein Mund es aus,
50Das dreimal gottverfluchte Wort, von dem allein
51Des Tuskers Schicksal abhängt, ha – das bare Geld?!
52O Fufluns, Fufluns! unheilvoller Bacchus du!
53's ist alles fort und hin und hin und fort ... hahumm!

54... Doch eine Tat, ich schwör's, sei itzt von mir getan,
55Wie sie die blöde Welt sich nicht im Traume träumt,
56Gräßlich und kalt ... mein Name soll zur Nachwelt noch
57Durch diese Tat sich überpflanzen, schreckenvoll;
58So wahr ich hier an diesem Priestergrabe steh',
59Ich – Pumpus von Perusia, der Etruskerfürst!...«

60Er sprach's und ging. Unheimlich fiel ein Sonnenstrahl
61Auf Speer und Helm. Fahl leuchtet's im Zypressenwald,
62Dumpf braust ein Windstoß, grabtief, fernem Seufzen gleich.
63Die Welt war damals harmlos noch. Man kannte nicht
64Des bürgerlichen Rechtes vielverschlungnen Pfad,
65Und selbst der Greis im Silberbart, er wußte nicht
66Die Antwort auf die Frage, was ein Darlehn sei.
67Doch jenen Tages ward im Wald bei Suessulae
68Zum erstenmal, seit daß die Welt geschaffen stand,
69Ein Held von einem andern Helden –
70Das ist der Sang vom Pumpus von Perusia.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Joseph Victor von Scheffel (1826-1886)

* 02/16/1826 in Karlsruhe, † 04/09/1886 in Karlsruhe

männlich, geb. Scheffel

deutscher Schriftsteller

(Aus: Wikidata.org)

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