Friedrich von Hagedorn: Der Wein (1731)

1Du brausender und frischer Most,
2Du gährend Mark der milden Reben,
3Des Herbstes Ehre, Götterkost!
4Mein Lied will deinen Ruhm erheben.
5O feuerreicher Traubensaft!
6Gib meinen Worten deine Kraft,
7Laß sie, wie du, ans Herze dringen,
8Und, weil dein Einfluß und dein Geist
9Dem Witze Muth und Glück verheißt,
10Auch mich von deinen Wundern singen.

11Du bist, o Wein! dem Einfall hold
12Und weckst den Scherz belebter Flöten.
13Wie reich sind durch dein trinkbar Gold
14Die Zungen singender Poeten!
15Mich däucht, ich sehe den Homer
16Zu jeder Schlacht, für jedes Heer
17Sich zechend seine Helden wählen.
18Dir muß ein Flaccus günstig sein;
19Ihm schickt Falern und Alba Wein.
20Wie konnt' es ihm an Liedern fehlen?

21Nichts übertraf an Streitbarkeit
22Der Dardaner, der Griechen Schaaren,
23Die, nur im Weindurst unentzweit,
24Verehrer des Lyäus waren.
25Auch unsrer Väter Beispiel lehrt,
26Wie sehr er Muth und Sieg vermehrt.
27Ihn trinken Franken und Teutonen,
28Der Sachsen und der Schwaben Schwarm.
29Der Wein, der Wein stärkt ihren Arm,
30Und dieser stürzet Legionen.

31Tuistons Enkel, deren Ruhm
32Die ewigen Geschichte melden,
33Auf! sehet euer Eigenthum,
34Auf! auf! Gebeine deutscher Helden.
35Verlaßt die Hügel eurer Gruft,
36Erhebt euch; suchet Sonn' und Luft!
37Euch wollen Rhein und Mosel winken.
38Sie heißen euch nach alter Zeit,
39Treu', Anschlag, Wahrheit, Tapferkeit
40In ihrer Trauben Blute trinken.

41Den Götterdienst, den Kriegesrath
42Muß oftgeprüfter Wein beleben.
43Fürst, Barde, Feldherr und Soldat,
44Wer liebte nicht die edlen Reben?
45Ja, alles ist der Wein bei euch:
46Ihr opfert und ihr trinkt zugleich.
47Dort liegt der Wurfspieß und die Keule.
48Ihr tanzt um Wodans Blutaltar,
49Wälzt euch, wo Hertha heilig war,
50Und taumelt um die Irmensäule.

51Fürst Hermann ficht und Varus weicht
52Und sucht vergebens offne Felder;
53Der Seinen Angst und Flucht durchstreicht
54Die schwarzen blutbetrieften Wälder.
55Cherusker, euch hieß Recht und Wein
56Den Deutschen gleich und muthig sein,
57Und so muß Romuls Adler beben.
58Ihr kämpft und rächt das Vaterland,
59Ihr schlagt und pflanzt mit tapfrer Hand
60Bald Siegeszeichen, bald auch Reben.

61O höret! Welch ein Freudenfest
62Auf jenem traubenvollen Hügel?
63Man jauchzt und singt, und alles läßt
64Der Freiheit und der Lust den Zügel.
65Es ist die Lese. Jeder lärmt
66Und lacht und schreit und spielt und schwärmt
67Und läßt sich nichts zu scherzhaft dünken.
68Die Fässer werden voll geschafft,
69Die Kelter preßt den süßen Saft
70Und seufzt, wann manche Wasser trinken.

71Dort kömmt nach selbstgestimmtem Ton
72Der Winzer Urban mit Brigitten.
73Kaum tanzt er vor, so fällt er schon,
74Der Wein und er sind ausgeglitten.
75Ha! ruft er und steht wieder auf:
76Hier tanzt sich's mit zu schnellem Lauf.
77Ich glaube fast, ich bin gefallen.
78Er dehnt sich, lacht und zeigt den Gaum
79Und springt und stampft und kann noch kaum
80Sein Hoch! mit schwerer Zunge lallen.

81Wie schwenkt sich Cunz, der Ackerknecht,
82Mit seiner braunen Adelheide!
83Gelt, Schätzle, gelt! so tanzt sich's recht,
84Und das heißt mehr als Kirmeßfreude.
85Er wischt und stellt sich, und sein Fuß
86Scharrt bäurisch zu dem kurzen Gruß.
87Er eilt, sie männlich anzugreifen.
88Er trinkt auf jeden Tanz ein Glas
89Und scheinet Stoppeln, Haid' und Gras
90Mit ihr fast fliegend durchzustreifen.

91Ein Grübler trinkt, beseufzt sein Leid
92Und sammelt Flüche, Furcht und Dünste,
93Und seine Galle prophezeit
94Pest, Wolkenbruch und Feuersbrünste.
95Wie, murrt er, trügerischer Wein!
96Sollst du der Sorgen Tröster sein
97Und kannst nicht meiner Schwermuth wehren?
98Du fließest; aber mir zur Last.
99Ihr Tropfen seid mir nun verhaßt;
100Ihr alle werdet mir zu Zähren.

101Spavento füllt sein Glas mit Wein.
102»ihr Herren,« spricht er, »laßt uns leben!
103Geh', Schenke, bringe mehr herein,
104Doch mußt du alten Festwein geben.
105Der alte Wein befeurte mich,
106Als mir bei Hochstädt alles wich,
107Wo ich des Bassa Roßschweif kürzte,
108Der, als er blutig mir entlief,
109Den Nepomuc zu Hilfe rief
110Und dann sich in die Wolga stürzte.«

111»kund und zu wissen sei hiemit,
112Daß ich auch Mohren übermannte,
113Und zu Morea, bei Madrit,
114Den Pontus im Euxin verbrannte.
115Nun denk' ich an die Heldenzeit;
116Ich lobe mir nur Tapferkeit.
117Dies Schwert weicht keinen Hannibalen.
118Beim Element! es hält sich frisch.«
119Gleich wetzt er es auf Bank und Tisch,
120Und Kannen, Licht und Teller fallen.

121Ein Alter spricht: Was soll dies sein?
122Du Bluthund! zeige dein Vermögen.
123Mein Kleid ist hin; es fleckt der Wein.
124O wäre meine Frau zugegen!
125Allein ich selbst,
126Du Türkenwürger! komme mir,
127Machst du mein feines Tuch zunichte?
128Noch fließt der Wein; noch werd' ich naß.
129Gevatter, hilf und wirf das Glas
130Dem Eisenfresser ins Gesichte.

131Nur immer drauf! Nur unverzagt!
132»ihr Furien!« Wie? Darfst du schelten?
133Das Bankbein her! Zerbläut ihn! Schlagt!
134Sein Maul soll jedes Wort entgelten.
135Er flucht und keicht und schreit und schnaubt.
136»zum Henker! ist es hier erlaubt,
137Mit guten Freunden so zu scherzen?«
138Allein man rächt des Bassa Tod.
139Spavento fällt und schwört und droht,
140Den falschen Streich nicht zu verschmerzen.

141So geht's. Erweckt der Wein den Muth
142In ungestalten wilden Seelen;
143So weiß sich in entflammter Wuth
144Der Thracier nicht zu verhehlen.
145Die Tobsucht reicht Gefäße her,
146Da wird die Flasche zum Gewehr,
147Da wechselt man, statt Kugeln, Krüge.
148Da stößt das erste Glas alsdann
149Geselligkeit und Freundschaft an.
150Und Eris mischt die letzten Züge.

151Doch tadelt nicht das edle Naß,
152Verdammet nicht des Weinstocks Gaben,
153Als müßten Zank und Groll und Haß
154Durch sie nur größre Nahrung haben.
155Euch widerleget jenes Paar,
156Das ganze Jahre zwistig war
157Und sinnreich in Begünstigungen.
158Sie stellen alle Klagen ein
159Und appelliren an den Wein
160Von Urthel und von Läuterungen.

161Wie mancher, dem der Wein gefällt,
162Als wär' er Gift und Rügewasser,
163Entlarvt, wenn nichts sein Herz verstellt,
164Den Schalksfreund, Filz und Menschenhasser!
165Wer Tücke heckt, muß nüchtern sein.
166Mit Recht flieht Euclio den Wein.
167Er trinkt und lacht mit halbem Munde
168Und folgt der Zunft der Kargen nach,
169Fälscht seinen Wein durch jenen Bach
170Und rühmt sich nur der Wasserkunde.

171O warum sucht die fernste Bank
172Ein Aeltester der Zionsbrüder?
173Ihm wird sein Most zum Liebestrank,
174Der Heilige girrt Buhlerlieder.
175Sein brünstig Aug' erheitert sich,
176Er liebet mehr als brüderlich
177Die Schwester, die ihn hier begleitet,
178Und die er, als ein folgsam Kind,
179Das seine Führung liebgewinnt,
180Zum Leiden und zur Stille leitet.

181Der Wein, der aller Herz erfreut,
182Gibt den Magistern, die dort zechen,
183Statt Eintracht und Gefälligkeit,
184Allein die Lust zu widersprechen.
185Wie glücklich sehen sie beim Wein
186Die Fugen der Soriten ein!
187Der Wein muß nie der Wahrheit schaden.
188Der Rausch beleuchtet jetzt durch sie
189Die vorbestimmte Harmonie,
190Die beste Welt und die Monaden.

191Weit klüger war Anacreon,
192Der seinen Most besang und lachte,
193Der Weinberg war sein Helicon,
194Wo er, wie Gleim und Ebert, dachte.
195Die Morgenrosen um sein Haubt,
196Die Blicke, die sein Herz geraubt,
197Wie wurden die von ihm erhoben!
198Oft nahm der Reben Lob ihn ein.
199Nicht schöner konnten dich, o Wein!
200Die Götter, die dich tranken, loben.

201Auch du beseligst ihren Stand.
202Zeus hält sich keinen Wasserschenken.
203Es muß ihm Ganymedens Hand
204Zum Nectar die Pocale schwänken;
205Die leert er bei dem Götterschmauß
206Auf jeder Göttin Wohlsein aus.
207Man hört die Tischmusik der Sphären.
208Oft reichte Mars ein volles Glas,
209Wenn ihr Vulcan nur abwärts saß,
210Der himmlisch-lächelnden Cytheren.

211Was seh ich? Was entdeckt sich mir?
212Dort seh ich einen Tempel glänzen,
213Und wie den Eingang und die Thür
214Der Epheu und die Reb' umkränzen.
215Die güldnen Flügel thun sich auf;
216Ich sehe der Bacchanten Lauf;
217Ich sehe sie mit ihren Stangen.
218Sie tanzen, und ihr Lustgeschrei
219Zeigt, was der Reben Wirkung sei,
220Die jetzt um ihre Scheiteln hangen.

221Der Trommeln Schlag, der Cymbeln Klang
222Durchtönt den Jubel der Mänaden.
223Es steigt ihr muthiger Gesang,
224Der Chöre Nachruf einzuladen.
225Sie rasen, aber nur zur Lust;
226Sie rasen mit entblößter Brust.
227Die Locken flattern ungebunden,
228Wie Ariadnens glänzend Haar
229Ein Spiel der regen Winde war,
230Als Bacchus sie am Meer gefunden.

231O daß kein ungeweihter Schwarm
232Die Priesterinnen unterbreche!
233Sie schütteln mit erhabnem Arm
234Das Erz der runden Klapperbleche.
235Nun macht ihr liedervoller Mund
236Des Rebenvaters Größe kund
237Und was Osir Egypten lehrte;
238Wie dort, durch seine Milde nur,
239Die weinbedürftige Natur
240Durch dessen Bau ihr Ansehn mehrte.

241Wie er mit fürchterlicher Macht
242Des Ganges Völker überwunden,
243Zuerst des stolzen Siegers Pracht,
244Den reizenden Triumph, erfunden,
245Und wie ihn, um des Indus Strand,
246Sein kriegerischer Elephant
247Durch manch' erfochtnes Reich getragen,
248Auch wie er, in dem Götterstreit,
249Mit wahrer Löwen-Tapferkeit
250Den stärksten Riesen selbst erschlagen.

251Der Opferbrand wird angeschürt;
252Die Priester stellen sich in Reihen.
253Es wird ein Bock herbeigeführt,
254Den sie mit Mehl und Salz bestreuen;
255Man rauft aus seiner Stirne Haar
256Und wirft es auf den Rauchaltar,
257Läßt Wein auf seine Hörner fließen
258Und zuckt den Stahl und naht der Glut,
259Und eilt, das längstverwirkte Blut
260Des Rebenfeindes zu vergießen.

261Er zappelt, stirbt und wird zerstückt;
262Man untersucht die Eingeweide.
263Herz, Lung' und Leber sind beglückt,
264Und jedes Zeichen weissagt Freude.
265Die Schlange, die der Korb bedeckt,
266In dem ein groß' Geheimniß steckt,
267Kriecht nun hervor und will sich zeigen.
268Es kracht der Heiligthümer Sitz!
269Der Tempel bebt; es strahlt der Blitz;
270Es donnert links, und alle schweigen.

271Der krummgehörnte Gott erscheint;
272Centauren ziehen seinen Wagen;
273Ein Satyr, der sich froh beweint,
274Wird ihm von Panen nachgetragen.
275Das Fichtenlaub, der Eppichstrauch
276Umschatten seinen Kopf und Bauch:
277Sein Pardel brüllt, doch nicht zu schrecken;
278Er wittert noch der Löwin Haut,
279Die man um Bacchus Schultern schaut,
280Und die kann ihm nur Lust erwecken.

281Ein tausendfacher Jubelschall
282Der Bacchen, Satyren und Faunen
283Ermüdet nun den Wiederhall
284Und setzet alles in Erstaunen.
285So bricht aus tiefer Höhlen Schooß
286Das Heer der Winde brüllend los,
287Braust um den Hain, kracht in den Eichen,
288Zischt durch die Wipfel, schlägt, zertheilt
289Die Esche, die im Fallen heult,
290Und rauscht und wirbelt in den Sträuchen.

291Ich werde neuer Lust gewahr:
292Nun seh' ich alles sich umkränzen.
293Es gaukelt dort der Larven Schaar
294In phrygischen Sicinnistänzen.
295Lenaeus steigt vom Wagen ab,
296Er wanket mit dem Thyrsenstab,
297Und strauchelt überzwerch und lachet.
298Sein Trinkhorn schäumt vom Rebensaft.
299Er trinkt mit Aeglen Brüderschaft
300Und fragt, was ihr Silenus machet.

301Es kömmt der reitende Silen;
302Sein Esel hätt' ihn bald verloren.
303Er schilt und schlägt ihn, heißt ihn gehn,
304Und zerrt ihm die gesenkten Ohren.
305Er wirft sich taumelnd hin und her;
306Ihm wird der trunkne Kopf zu schwer;
307Er sinkt und torkelt auf die Erde,
308Und kriecht und wälzt sich um sein Thier:
309Ihr trägen Faunen! helfet mir,
310Und setzt mich wiederum zu Pferde.

311Er fordert stammelnd Chier Wein,
312Mit schweren Lippen, starren Wangen.
313Er lacht ihn an: nichts ist so rein;
314Er will den, der ihn bringt, umfangen.
315Ha! schreit er, Vater Bacchus, steh!
316Ich trink', o Evan, Evoe!
317Nun schließt er sich an seinen Schimmel.
318Er säuft den Wein in einem Zug.
319O dieser schmeckt! Für's erste g'nug!
320Und wirft den leeren Kelch gen Himmel.

321Will alles sich dem Aug' entziehn?
322Verschwindet alles in die Lüfte?
323Der Gott und sein Gefolge fliehn
324In Schatten, Wolken, Dampf und Düfte.
325Ja! Bacchus eilt zur Oberwelt;
326Der Rauchaltar, der Tempel fällt,
327Und ihn verlieren meine Blicke.
328Sah ich auch wirklich? Ja! Doch nein!
329Ein Traum nahm Aug' und Sinnen ein
330Und läßt mir nur sein Bild zurücke.

331O wie begeistertest du mich,
332Wein, der Entzückung Quell und Zunder!
333Du wiesest mir jetzt sichtbarlich
334Der Alten fabelhafte Wunder.
335Du gibst auch nicht der Stille Raum,
336Und ich enthalte mich noch kaum,
337Daß ich dein Lob von neuem zeige.
338Du brausender und frischer Most,
339Des Herbstes Ehre, Götterkost!
340Mein Lied ... allein ich trink' und schweige.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Author

Friedrich von Hagedorn (1708-1754)

* 04/23/1708 in Hamburg, † 10/28/1754 in Hamburg

männlich

deutscher Dichter

(Aus: Wikidata.org)

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