1Zu Breslau in der Stadt,
2Ein ehrenwerther Meister,
3Gewandt in Rath und That.
4Er hatte schon gegossen
5Viel Glocken, gelb und weiß,
6Für Kirchen und Kapellen
7Zu Gottes Lob und Preis.
8Und seine Glocken klangen
9So voll, so hell, so rein:
10Er goß auch Lieb' und Glauben
11Mit in die Form hinein.
12Doch aller Glocken Krone,
13Die er gegossen hat,
14Das ist die Sünderglocke
15Zu Breslau in der Stadt.
16Im Magdalenenthurme
17Da hängt das Meisterstück,
18Rief schon manch starres Herze
19Zu seinem Gott zurück.
20Wie hat der gute Meister
21So treu das Werk bedacht!
22Wie hat er seine Hände
23Gerührt bei Tag und Nacht!
24Und als die Stunde kommen,
25Daß Alles fertig war,
26Die Form ist eingemauert,
27Die Speise gut und gar.
28Da spricht der Glockenmeister
29Zu seinem Bübelein:
30Ich lass' ein kurzes Weilchen
31Beim Kessel dich allein.
32Will mich mit einem Trunke
33Noch stärken zu dem Guß;
34Das giebt der zähen Speise
35Erst einen rechten Fluß.
36Doch hüte dich, und rühre
37Den Hahn mir nimmer an:
38Sonst wär' es um dein Leben,
39Fürwitziger, gethan!
40Der Bube steht am Kessel,
41Schaut in die Gluth hinein:
42Das wogt und wallt und wirbelt,
43Und will entfesselt sein.
44Und zischt ihm in die Ohren,
45Und zuckt ihm durch den Sinn,
46Und zieht an allen Fingern
47Ihn nach dem Hahne hin.
48Er fühlt ihn in den Händen,
49Hat schnell ihn umgedreht:
50Da wird ihm angst und bange,
51Er weiß nicht, was er thät.
52Und läuft hinaus zum Meister,
53Die Schuld ihm zu gestehn,
54Will seine Knie' umfassen
55Und ihn um Gnade flehn.
56Doch wie der nur vernommen
57Des Knaben erstes Wort,
58Da reißt die kluge Rechte
59Der jähe Zorn ihm fort.
60Er stößt sein scharfes Messer
61Dem Buben in die Brust,
62Dann stürzt er nach dem Kessel,
63Sein selber kaum bewußt.
64Vielleicht, daß er noch retten,
65Den Strom noch hemmen kann: —
66Doch sieh, der Guß ist fertig,
67Es fehlt kein Tropfen dran.
68Da eilt er abzuräumen,
69Und sieht, und will's nicht sehn,
70Ganz ohne Fleck und Makel
71Die Glocke vor sich stehn.
72Der Knabe liegt am Boden,
73Er schaut sein Werk nicht mehr.
74Ach, Meister, wilder Meister,
75Du stießest gar zu sehr!
76Er stellt sich dem Gerichte,
77Und klagt sich selber an:
78Es thät den Richtern wehe
79Wohl um den wackern Mann.
80Doch kann ihn Keiner retten,
81Und Blut will wieder Blut:
82Er hört sein Todesurthel
83Mit gar gefaßtem Muth.
84Und als der Tag gekommen,
85Daß man ihn führt hinaus,
86Da wird ihm angeboten
87Der letzte Gnadenschmaus.
88Ich dank' euch, spricht der Meister,
89Ihr Herren lieb und werth,
90Doch eine andre Gnade
91Mein Herz von euch begehrt.
92Laßt mich nur einmal hören
93Der neuen Glocke Klang!
94Ich hab' sie ja bereitet:
95Möcht' wissen, ob's gelang.
96Die Bitte ward gewähret,
97Sie schien den Herr'n gering,
98Die Glocke ward geläutet,
99Als er zum Tode ging.
100Der Meister hört sie klingen,
101So voll, so hell, so rein:
102Die Augen gehn ihm über,
103Es muß vor Freude sein.
104Und seine Blicke leuchten,
105Als wären sie verklärt:
106Er hatte in dem Klange
107Wohl mehr als Klang gehört.
108Hat auch geneigt den Nacken
109Zum Streich voll Zuversicht;
110Und was der Tod versprochen,
111Das bricht das Leben nicht.
112Das ist der Glocken Krone,
113Die er gegossen hat,
114Die Magdalenenglocke
115Zu Breslau in der Stadt.
116Die ward zur Sünderglocke
117Seit jenem Tag geweiht:
118Weiß nicht, ob's anders worden
119In dieser neuen Zeit.