1Eine große Stadt mußt' ich durchgehn,
2Die seit Jahren ich nicht gesehn.
3Und in dieser auf meinen Wanderungen
4Bin ich in einen Vorort gedrungen,
5Wo in Armut hinfristen viel tausend Leute,
6Und dort wie früher fand ich's heute.
7Und mitten hier auf meiner Runde
8Vernahm ich vom nächsten Turm die Stunde.
9Und wunderbar, wie der reichtönende Klang
10Mir plötzlich erinnernd die Brust durchdrang:
11Vor mir stand eine Sommernacht,
12Die einst in diesem Revier ich durchwacht,
13Wo mir am Herzen ein Mädel lag,
14Wo ich hörte den schönen Glockenschlag,
15Ein Viertel, Halb, drei Viertel, Ganz,
16Hoch über der Menschen Mummenschanz.
17Im vierten Stock einer Mietskaserne,
18Wo unten eine schlechte Taverne
19Gesindel aufsog, wo die Unruhe wohnte,
20Wo kein Engel die Tugend belohnte,
21Da hab' ich einmal eine kurze Nacht
22In Liebesüberschüttung zugebracht.
23Sie schlief, und hat mich in Traumeswonnen
24Mit ihren weißen Armen umsponnen,
25Hat oft mich im Halbschlaf fest an sich gedrückt,
26Das hat mich so grenzenlos entzückt.
27Sanft strich ich ihr braunes welliges Haar,
28Das schimmernd vom Monde beschienen war.
29Bis in's späte Morgenrot
30Lärmt draußen das Leben, schreit noch die Not.
31Und Zank und Zorn, Geschrei, Gelächter,
32Einmal Dazwischenkommen der Wächter.
33Von einem Tanzsaal her wüstes Gestampf,
34Aus der Hölle stieg auf ein greulicher Dampf
35Aus Bierbudiken und Schnapsspelunken. –
36In diesem Dunst schien die Vorstadt ertrunken.
37Klarweg über die Sünde hindrang
38Der reine, der hehre Glockenklang.
39Endlich, nach jeder Weltstadt Weise,
40Ward' um die dritte Stund' es leise.
41Und herrlich durch die Stille drang
42Immer wieder der schöne Glockenklang,
43Ein Viertel, Halb, drei Viertel, Ganz,
44Hoch über der Menschen Mummenschanz.
45Da öffnet das Mädel die Augen dem Tag,
46Und ich hörte nicht mehr den Glockenschlag.