1Auf Galiciens Felsenstrande
2Ragt ein heil'ger Gnadenort,
3Wo die reine Gottesmutter
4Spendet ihres Segens Hort.
5Dem Verirrten in der Wildnis
6Glänzt ein goldner Leitstern dort,
7Dem Verstürmten auf dem Meere
8Öffnet sich ein stiller Port.
9Rührt sich dort die Abendglocke,
10Hallt es weit die Gegend nach;
11In den Städten, in den Klöstern
12Werden alle Glocken wach.
13Und es schweigt die Meereswoge,
14Die noch kaum sich tobend brach,
15Und der Schiffer kniet am Ruder,
16Bis er leis sein Ave sprach.
17An dem Tage, da man feiert
18Der Gepriesnen Himmelfahrt,
19Wo der Sohn, den sie geboren,
20Sich als Gott ihr offenbart,
21Da in ihrem Heiligtume
22Wirkt sie Wunder mancher Art;
23Wo sie sonst im Bild nur wohnet,
24Fühlt man ihre Gegenwart.
25Bunte Kreuzesfahnen ziehen
26Durch die Felder ihre Bahn,
27Mit bemalten Wimpeln grüßet
28Jedes Schiff und jeder Kahn.
29Auf dem Felsenpfade klimmen
30Waller, festlich angetan;
31Eine volle Himmelsleiter
32Steigt der schroffe Berg hinan.
33Doch den heitern Pilgern folgen
34Andre, barfuß und bestaubt,
35Angetan mit härnen Hemden,
36Asche tragend auf dem Haupt;
37Solche sind's, die der Gemeinschaft
38Frommer Christen sind beraubt,
39Denen nur am Tor der Kirche
40Hinzuknieen ist erlaubt.
41Und nach allen keuchet einer,
42Dessen Auge trostlos irrt,
43Den die Haare wild umflattern,
44Dem ein langer Bart sich wirrt;
45Einen Reif von rost'gem Eisen
46Trägt er um den Leib geschirrt,
47Ketten auch um Arm' und Beine,
48Daß ihm jeder Tritt erklirrt.
49Weil erschlagen er den Bruder
50Einst in seines Zornes Hast,
51Ließ er aus dem Schwerte schmieden
52Jenen Ring, der ihn umfaßt.
53Fern vom Herde, fern vom Hofe
54Wandert er und will nicht Rast,
55Bis ein himmlisch Gnadenwunder
56Sprenget seine Kettenlast.
57Trüg er Sohlen auch von Eisen,
58Wie er wallet ohne Schuh,
59Lange hätt er sie zertreten,
60Und noch ward ihm nirgend Ruh.
61Nimmer findet er den Heil'gen,
62Der an ihm ein Wunder tu;
63Alle Gnadenbilder sucht er,
64Keines winkt ihm Frieden zu.
65Als nun der den Fels erstiegen
66Und sich an der Pforte neigt,
67Tönet schon das Abendläuten,
68Dem die Menge betend schweigt.
69Nicht betritt sein Fuß die Hallen,
70Drin der Jungfrau Bild sich zeigt,
71Farbenhell im Strahl der Sonne,
72Die zum Meere niedersteigt.
73Welche Glut ist ausgegossen
74Über Wolken, Meer und Flur!
75Blieb der goldne Himmel offen,
76Als empor die Heil'ge fuhr?
77Blüht noch auf den Rosenwolken
78Ihres Fußes lichte Spur?
79Schaut die Reine selbst hernieder
80Aus dem glänzenden Azur?
81Alle Pilger gehn getröstet,
82Nur der
83Liegt noch immer an der Schwelle
84Mit dem bleichen Angesicht.
85Fest noch schlingt um Leib und Glieder
86Sich der Fesseln schwer Gewicht;
87Aber frei ist schon die Seele,
88Schwebet in dem Meer von Licht.