Barthold Heinrich Brockes: Das schöne Würmchen (1743)

1Jm kühlen Schatten dichter Blätter
2Saß ich, bey einem schwühlen Wetter,
3Beschirmet vor der Sonnen Schein,
4Bedeckt von einem grünen Himmel,
5Entfernet von der Stadt Getümmel,
6Und dacht’ auf GOtt und mich allein.
7Wie nun an diesem stillen Ort,
8Nach meiner Art, bald hier, bald dort
9Die regen Blick’, in grünen Tiefen
10Der Blätter, hin und wieder liefen,
11Und, durch so vielfachs Schatten-Grün,
12Oft in die Dunkelheit versunken,
13Erblickt’ ich einen bunten Funken,
14Und sah’ ihn hell und feurig glüh’n,
15Zumahl ein kleiner Sonnen-Strahl,
16Durch eine Oefnung, auf ihn schien.
17Ich stutzt’ ob seinem Glanz, und ging,
18Jhn in der Nähe zu beseh’n,
19Da ich in ihm ein wunderschön
20Gefärbtes glänzend Würmchen fing.
21Nie hatt’ ich noch ein herrlicher geschmückt-
22Ein herrlicher gefärbtes Thier erblickt.
23Der Hinterleib war roht. Ein wirklicher Rubien
24Kann hell- und kräftiger nicht glüh’n,
25Als der gefärbte Glanz, den ich in ihm erblickte,
26Desselben obre Fläche schmückte.
27Das Vordertheil legt, durch ein glänzend Blau,
28Ein klein Sapphirchen uns zur Schau,
29Das aber, wenn es sich zumahl
30Getroffen fand vom Sonnen-Strahl,

31Durch ein besonders schön und lieblich Farben-Spiel,
32Zuweilen in ein Grün, fast als Smaragden, siel,
33Wie denn der Unterleib beständig grün,
34Smaragden gleich, in hellem Glanze schien.
35Von solchem grünen Glanz und Scheine
36Sind ebenfalls desselben Beine.

37Was man von Indiens bekanntem Vögelein,
38Dem schönen Colibri (der ja so schön als klein,
39Der einer Fliege kaum an Grösse gleich soll seyn)
40Und seinen hellen Farben schreibet,
41Die man fast bis zum Glanz der Edelsteine treibet,
42Und den, zum zierlichen Gepränge,
43Das Frauenzimmer dort als Ohr-Gehänge
44Vernünftig brauchen soll, gehöret fast hieher;
45Da jenes Federn Pracht unmöglich mehr,
46Als dieses Würmchen, glänzen kann.
47Man schau es denn so obenhin nicht an,
48Vergnüge das Gesicht
49An seines Cörpers buntem Licht.
50Erwege Dessen Wunder-Macht,
51Der solcher Farben Glanz darinn gesenkt,
52Und welcher uns das Wunder unsrer Augen,
53Wodurch wir das, was schön, zu sehen taugen,
54Aus lauter Lieb’, auf dieser Welt geschenkt.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Barthold Heinrich Brockes (1680-1747)

* 09/22/1680 in Hamburg, † 01/16/1747 in Hamburg

männlich, geb. Brockes

deutscher Schriftsteller

(Aus: Wikidata.org)

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