1Die grünen Blätter sind gefallen,
2Die Schwalben fortgezogen sind,
3Da will zu seiner Heimat wallen,
4Bin armes elternloses Kind.
5Als Führer auf der weiten Reise,
6Fliegt vor ihm hin ein Schmetterling,
7Ihr Bündelchen trägt selbst die Waise,
8Ihr Hab und Gut ist sehr gering.
9Der Vater ist ihm früh gestorben,
10Die Mutter hat es weggesandt,
11Im Ausland hat es nichts erworben,
12Und arm kehrt es zum Vaterland.
13Und wie sie durch die Wälder gingen,
14Der Schmetterling zum Kinde spricht:
15»um meinen Lohn ist noch zu dingen,
16Den kleinen Freund vergesse nicht.
17Ich werde nicht mehr lange leben
18Und möchte mich noch einmal freun,
19Zu deiner Heimat will ich schweben,
20Zum Lohn gieb mir ein Blümelein.«
21Das Kind sprach: »Keins ist hier zu sehen,
22Doch ist in meinem Vaterland
23Ein stiller Garten, darin stehen
24Der süßen Blumen allerhand.
25Ein Engel gehet in dem Garten,
26Der giebt dir sicher doppelt Lohn,
27O wolle bis zur Heimat warten,
28Ich irre, wenn du mir entflohn.
29In einem stillen Tale wohnet
30Der Engel und ich bin sein Kind,
31Ich weiß, daß er dich reich belohnet,
32Drum laß uns eilen, schnell geschwind.«
33Der Führer hebt die bunten Schwingen,
34Der kleine Wandrer folgt ihm schnell.
35Er spricht: »hörst du die Vöglein singen,
36Im Garten singen sie so hell.
37Ich atme schon die Blumendüfte,
38O lieber Führer eile schnell.«
39»ich fühle nur die kühlen Lüfte,«
40Spricht da der bunte Reis'gesell.
41»o willst du nicht den Lohn mir geben,
42Ich sterb', eh' ich die Heimat seh',
43Ich werde nicht mehr lange leben,
44Die kühlen Lüfte tun mir weh.«
45»so nehme alles, was ich habe,«
46Sprach weinend da das arme Kind,
47»von jenem Engel eine Gabe,
48Die welken Rosenblätter sind.«
49Der Führer stirbt und in den Rosen,
50Weiht ihm das Kind ein frommes Grab.
51Schon hört es nah des Stromes Tosen,
52Und steiget zu dem Tal hinab.
53Da steht es an der Heimat Schwellen,
54Und ruft: »o Mutter höre mich,
55O führ' mich zu dir durch die Wellen,
56Zum süßen Garten führe mich!
57Mein armer Führer ist gestorben,
58Da Freude floh und Sonnenschein,
59Zum Lohn hat er ein Grab erworben,
60Wohl in den süßen Rosen dein.«
61Die Mutter höret nicht sein Klagen,
62Da ward dem Kinde Mut verliehn.
63Die Wellen es hinübertragen,
64Es eilet zu dem Garten hin.
65Die Blumen all die Kelche neigen,
66Und gießen still die Liebe aus,
67Die Mutter will sich nirgends zeigen,
68Im Garten nicht, und nicht im Haus.
69»o Heimat in dem Frühlingsscheine,
70O Jugend liebste Mutter mein,
71Dein Kind die Liebe ist alleine,
72O wollet nicht verloren sein!«
73Da sprach ein Vöglein von dem Baume,
74»gott grüß' dich, bist du wieder hier?
75Es denkt mir dunkel wie im Traume,
76Du trugst einst treue Lieb' zu mir.
77Im Maie wardst du hier geboren,
78Da lernte ich ein Lied von dir,
79Ist Mai, und Jugend auch verloren,
80Dein süßes Lied, das bleibet mir.«
81Da fing das Vöglein an zu singen,
82»der Frühling blüht, der Sommer glüht,
83Die Liebesblumen süß entspringen,
84Der Zweig ist müd, die Frucht ihn zieht.
85Die Liebe kehrt zur Heimat wieder,
86Zur Fremde sie getrieben ward,
87Der Herbst sinkt zu der Erde nieder,
88Die Lieb' erstarrt im Winter hart.«
89Und was das Vöglein freundlich singet,
90Wohl schmerzlich zu dem Kinde klang,
91Die Zeit wohl streng zur Wahrheit bringet,
92Was einst das Kind prophetisch sang.
93Die Mutter hat es hart verstoßen,
94Wo es der Frühlingsschein gewiegt,
95Da ist sein Grab nun bei den Rosen,
96Und treu das Vöglein niederfliegt,
97Und deckte es mit welken Blüten
98Aus alter, treuer Freundschaft zu,
99Dem Vöglein mög' es Gott vergüten,
100Es sang das Kind wohl in die Ruh'.
101»o Heimat in dem Frühlingsscheine,
102O Jugend, harte Mutter sein,
103Dein Kind, die Liebe ich beweine
104Sein einz'ger Freund ein Vögelein.«