Clemens Brentano: [ich bin durch die Wüste gezogen] [1] (1810)

1Ich bin durch die Wüste gezogen,
2Des Sandes glühende Wogen
3Verbrannten mir den Fuß,
4Es haben die Wolken gelogen,
5Es kam kein Regenguß.

6Die Sonne trank mir im Zorne
7Das Wasser aus jeglichem Borne
8An dem die Reise geruht,
9Ich dürste, es leckten die Dorne
10Meiner brennenden Wunden Blut.

11Ich nahm den erschlagnen Kamelen
12Das Wasser und Blut aus den Kehlen
13Zu retten mein Weib und Kind,
14Die Schätze an Gold und Juwelen
15Begrub im Sande der Wind.

16Da wühlt' ich mit glühendem Schwerde
17Den Kindern manch Grab in die Erde
18Erwühlte mir keinen Quell,
19Ob Gott sie wohl finden werde,
20Die Hyänen heulten grell.

21Ein Kind unterm Mutterherzen
22Brach mit ihm, in schreienden Schmerzen
23Gebar sie es sterbend dem Tod,
24Es goß gleich glühenden Erzen
25Die Sonne mir Licht in die Not.

26Gern hätte ich Tränen getrunken,
27Die Augen weinten nur Funken,
28Ich wühlt' noch ein Grab in den Sand,
29Und bin in Verzweiflung gesunken,
30Ach weil ich kein Wasser fand.

31Da ward ich zur wandelnden Leiche,
32Auf daß ich den Brunnen erreiche,
33Den letzten auf glühender Bahn,
34Und wie ich so lechzend hinschleiche,
35Da brüllen die Tiger mich an.

36Des Tages glühende Schwelle
37Verbrannte, da kam ich zur Stelle,
38Der Brunnen war trocken und tot
39Es glühte zur Mitternacht helle
40Der Mond wie Kupfer so rot.

41Der Tod flog auf aus der Wüste,
42Und schauderte, da ich ihn grüßte,
43Und floh, da rief ich ihm zu,
44Daß einer hier sterben müßte,
45Er schrie mir: Erst lebe du!

46Denn sterben heißt Ruhe erwerben
47Drum kannst du nicht leben nicht sterben
48Der Durst ist unendlich in dir,
49Dein Erbteil, das will ich nicht erben
50So schrie er, und eilte von mir.

51Und heulend flog der Geselle
52Wüsteinwärts mit Pfeilesschnelle
53Der Sand schlug rasselnd um ihn,
54Da traf mich die glühende Welle
55Ach, daß ich erblindet bin.

56O Nacht ohn' Anfang und Ende!
57Kein Stern, wohin ich mich wende,
58Kein Bogen, kein Pfeil kein Ziel,
59Da rang ich betend die Hände,
60Bis die Decke mir niederfiel.

61Da fühlt' ich das Ziel mir gekommen
62Die glühende Leiter erklommen,
63Ich schrie zu dem bitteren Stern
64Der Herr hat gegeben, genommen
65Gelobt sei der Wille des Herrn!

66Da hört' ich ein Flügelpaar klingen
67Da hört' ich ein Schwanenlied singen,
68Und fühlte ein kühlendes Wehn
69Und sah mit tauschweren Schwingen
70Einen Engel in der Wüste gehn.

71Und als ich ihn fragend begrüßte,
72Sag an, du Engel der Wüste
73Wie find' ich den Wasserquell?
74Sprach er: wer treulich büßte,
75Der steht an der Brunnenschwell'.

76Sag an, du Engel der Wüste,
77Und find' ich den Quell, da ich büßte,
78Wo find' ich Jerusalem
79Da sprach er: so ich das nicht wüßte,
80Käm' ich nicht von Bethlehem.

81So folge nun meinem Gleise,
82Blind wandeltest du im Kreise,
83Nach Jerusalem wolltest du,
84Reich mir die Hand auf der Reise,
85Du zogst nach Babylon zu.

86Der Herr trieb tausend Meilen
87Mich her um dich zu heilen,
88Zu brechen mein Brot mit dir,
89Den Becher mit dir auch zu teilen,
90Wohlauf, nun folge du mir.

91Und vor ihm kniete ich nieder,
92Er legte sein tauicht Gefieder
93Mir kühl um das glühende Haupt,
94Und sang mir die Pilgerlieder
95Da hab' ich geliebt und geglaubt.

96Da sah ich den Himmel wohl offen,
97Ach Gott! Kühl herniedergetroffen
98Kam die Gnade, die Segensflut,
99Da konnte ich endlich auch hoffen,
100Auf meines Erlösers Blut.

101Da sang ich, reich treulich die Hände,
102Die Augen nicht vor meinem Ende,
103O Schwesterlein von mir
104Nur nimmer, nimmermehr wende,
105Du, ich, wir sind nun ein Wir.

106Ein Tempel sei wo wir knien,
107Ein Glück sei, für das wir glühen
108Ein Streit, ein Siegespanier
109Ein Ort sei, wohin wir ziehen
110Ein Himmel sei dir und mir.

111So haben wir da wohl gesungen,
112Und Hand in Hand da geschlungen
113Und Flügel in Flügelpaar
114Uns über die Wüste geschwungen,
115Die ein Garten voll Segen war.

116Dies war wohl ein innerlich Sehen
117Ein innerlich Auferstehen
118In mir selber erwachte der Geist
119Die Wüste, das waren die Wehen
120In denen mein Leben gekreißt.

121All was ich verloren, begraben,
122All was ich allein, um zu haben
123In der heißen Wüste gesucht,
124Das soll mich im Geiste nun laben,
125In unverbotener Frucht.

126O Schimmer, o Lichter, o Farben,
127O alle ihr goldenen Garben,
128In Duft, in Sonne, im Tau,
129Ich schwelge, ich kann nicht mehr darben,
130Gott grüß' dich mein geistlicher Pfau!

131Ach alles, was je ich gewesen
132Kann dir in dem Spiegel ich lesen
133Kann vor dir in Tränen vergehn
134Kann vor dir in Reue genesen,
135Kann mit dir dann auferstehn.

136Und will dieser Abend verglimmen
137Laß höher und höher uns klimmen
138Auf Golgatha sinkt keine Nacht,
139Es singen da ewige Stimmen
140Am Kreuze, nun hab' ich vollbracht.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Clemens Brentano (1778-1842)

* 09/08/1778 in Koblenz-Ehrenbreitstein, † 07/28/1842 in Aschaffenburg

männlich, geb. Brentano

deutscher Schriftsteller

(Aus: Wikidata.org)

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