Georg Rodolf Weckherlin: An meinen freind H. Joachim Hübner (1618)

1Wie unterschidlich und ungleich
2ist doch der sterblichen gefallen!
3kaum kan von dem gewölkten reich
4des himmels weißer staub abfallen
5Und schier baumwollengleich die straß,
6flüß, gassen, plätz mit eis und glas
7ganz überweißen und besetzen,
8daß sich nicht vil darab ergetzen,
9Die, göttergleich, mit klarem glanz
10und klarem klang schnell dahin gleiten
11in radlosreichem wagendanz
12prachtierend für den schlechten leuten.

13Vil ihrer person lob und wert
14für andern weit herfür zu ziehen,
15sich dan zu fuß und dan zu pferd
16in ritterspilen gern bemühen:
17Mit spieß und schwert in dem turnier,
18bald mit der lanz in der carrier
19sie all ausfordrend sich begeben
20voll schweiß und stolz dem dank nachstreben.
21Vil des leibs schand und des geists leid
22verbergend prangen wie die pfauen,
23da man dan bald in einem kleid
24ihr ganzes erbgut kan beschauen.

25Beredend sich, daß in der welt
26nichts dem hofleben sich vergleichet,
27daß zu hof nichts, dan gold und geld,
28und man bei hof sich stracks bereichet,
29Befinden sich vil tag und nacht
30bei hof, als ob sie auf der wacht,
31demütig die, bald jene grüßen,
32bald schürflet dieser mit den füßen,
33Sich neiget jener auf den grund,
34und lächlend jederman fuchsschwänzet,
35bis allen, zwar zu spat, wird kund,
36daß gar nicht alles gold was glänzet.

37Hie einer auf der hohenschul
38will doctor oder kanzler werden;
39dort einer auf dem predigstuhl
40erhebet hoch sich von der erden,
41Doch nur so hoch, daß er einmal
42als bischof oder cardinal,
43ja bapst, got gleich, mög dominieren,
44und andre, nicht sich selbs, regieren;
45Ein andrer durch des pöfels gunst
46wird burgermeister, vogt, verwalter,
47und jener durch geld oder kunst
48rentmeister, ratsherr, abt, verwalter.

49Ein andrer, dessen engem mut
50aus seinem land zu reisen grauet,
51sein väterlich ererbtes gut
52mit großer sorg und arbeit bauet;
53Sein lust, wie seine müh, allein
54ist, daß mit heu, mit korn, mit wein
55er fülle scheuren, speicher, keller
56und nicht verlier nur einen heller;
57Ab diesem järlichen gewin
58hat er ein solches herzvergnügen,
59daß keines fürsten verspruch ihn
60kan davon führen, ziehen, biegen.

61Der kaufman seglend gegen haus,
62wan wind und wellen sich erheben,
63hat nu nicht so vil geiz, als graus,
64weil schif, mast, ruder, grundbaum beben:
65Sein herz voll forcht, voll klag sein mund
66geloben beed in böser stund,
67daß das best leben das landleben,
68dem will er sich nu ganz ergeben.
69Jedoch komt er kaum an das land,
70daß sein gelübd er stracks vernichtet
71und, weil armut sein gröste schand,
72sein schif bald wider neu zurichtet.

73Dem aber ab des meers unruh
74und andern wassern sunst mag grausen,
75der liebet mehr in freud und ruh
76die zeit mit brüdern zu verbausen:
77Und fliehend arbeit, müh und streit
78verdrinket er die süße zeit:
79nein, sondern nicht schnell zu veralten
80will er die liebe zeit aufhalten;
81Aufhaltend becher oder glas
82wird er ein freier bossenmacher
83und sitzend in dem grünen gras
84erfrischet ihn der Bacharacher.

85Vil, denen der trometen klang,
86der mit dem drummenschlag vermischet,
87ab welchem mancher mutter bang,
88das blut mit mut und wut erfrischet,
89Mit krieg erquicken ihre brust
90und in dem läger ist ihr lust,
91ihr sinn, als dapferer kriegsleuten,
92ist, ruhm, ehr und gut zu erbeuten:
93Sie suchen mit list oder macht
94zu sigen und zu triumfieren,
95bis sie zuletzt die schanz und schlacht
96und zugleich leib und seel verlieren.

97Ein andre mühsame kurzweil
98gebrauchet jener, der gern jaget,
99indem er oft in schneller eil
100sein bet verlässet, eh es taget.
101Ja manche lange nacht und tag,
102weil er sein weib, in leid und klag,
103sich streckend, lässet allein schlafen,
104ihn oft frost, hitz, schnee, regen strafen.
105Er achtet weder lieb noch pein,
106dem wild mit vortheil nachzustellen
107und einen hirsch, reh, wolf, wildschwein
108durch die hund oder strick zu fällen.

109Mir, ob ich meine jugend schon
110nicht aller eitelkeit beraubet,
111hat sie doch keinen süßern wohn,
112dan in der Musen lieb erlaubet;
113Dan mit der kindheit ich zugleich
114was andern lieblich, köstlich, reich,
115ja, des hoflebens pracht und prassen
116und auch des pöbels lieb verlassen:
117In manchen sprachen hab ich bald
118die poesi mit lust geübet
119und ihrenthalb den grünen wald
120mehr, dan palläst und stät, geliebet.

121Durch sie bin ich in dienst ganz frei,
122nach arbeit sie mich bald erlabet,
123krank ist sie mir die best arznei,
124in leid sie mich mit trost begabet.
125Ja, Hübner, wan ich dein gericht
126und mein gemüt durch mein gedicht
127geistreich und geistlich kan erquicken,
128kan mich kein könig mehr beglücken.
129Dan meinen geist der psalmen klang
130so hoch erhöhet und ergetzet,
131daß er mit götlich purem schwang
132wird in das firmament gesetzet.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Georg Rudolf Weckherlin (1584-1653)

* 09/15/1584 in Stuttgart, † 02/23/1653 in London

männlich

deutscher Lyriker

(Aus: Wikidata.org)

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