Theodor Storm: Abschied (1853)

1Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen,
2Wozu das Herz den vollen Schlag verwehrt;
3Die Stunde drängt, gerüstet steht der Wagen,
4Es ist die Fahrt der Heimat abgekehrt.

5Geht immerhin – denn eure Tat ist euer –
6Und widerruft, was einst das Herz gebot;
7Und kauft, wenn dieser Preis euch nicht zu teuer,
8Dafür euch in der Heimat euer Brot!

9Ich aber kann des Landes nicht, des eignen,
10In Schmerz verstummte Klagen mißverstehn;
11Ich kann die stillen Gräber nicht verleugnen,
12Wie tief sie jetzt in Unkraut auch vergehn.-

13Du, deren zarte Augen mich befragen –
14Der dich mir gab, gesegnet sei der Tag!
15Laß nur dein Herz an meinem Herzen schlagen,
16Und zage nicht! Es ist derselbe Schlag.

17Es strömt die Luft – die Knaben stehn und lauschen,
18Vom Strand herüber dringt ein Möwenschrei;
19Das ist die Flut! Das ist des Meeres Rauschen!
20Ihr kennt es wohl; wir waren oft dabei.

21Von meinem Arm in dieser letzten Stunde
22Blickt einmal noch ins weite Land hinaus,
23Und merkt es wohl, es steht auf diesem Grunde,
24Wo wir auch weilen, unser Vaterhaus.

25Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde
26Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt;
27Denn Raum ist auf der heimatlichen Erde
28Für Fremde nur und was den Fremden dient.

29Doch ist's das flehendste von den Gebeten,
30Ihr mögt dereinst, wenn mir es nicht vergönnt,
31Mit festem Fuß auf diese Scholle treten,
32Von der sich jetzt mein heißes Auge trennt! –

33Und du, mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege
34Auch noch auf diesem teuren Boden stand,
35Hör mich! – denn alles andere ist Lüge –
36Kein Mann gedeihet ohne Vaterland!

37Kannst du den Sinn, den diese Worte führen,
38Mit deiner Kinderseele nicht verstehn,
39So soll es wie ein Schauer dich berühren
40Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn!

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Theodor Storm (1817-1888)

* 09/14/1817 in Husum, † 07/04/1888 in Hanerau-Hademarschen

männlich, geb. Storm

natürliche Todesursache - Magenkarzinom

deutscher Schriftsteller und Jurist

(Aus: Wikidata.org)

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