1Daheim noch war es; spät am Nachmittag.
2Im Steinhof unterm Laub des Eschenbaums
3Ging schon der Zank der Sperlinge zur Ruh;
4Ich, an der Hoftür, stand und lauschte noch,
5Wie Laut um Laut sich mühte und entschlief.
6Der Tag war aus; schon vom Levkojenbeet
7Im Garten drüben kam der Abendduft;
8Die Schatten fielen; bläulich im Gebüsch
9Wie Nebel schwamm es. Träumend blieb ich stehn,
10Gedankenlos, und sah den Steig hinab;
11Und wieder sah ich – und ich irrte nicht –
12Tief unten, wo im Grund der Birnbaum steht,
13Langsam ein Kind im hohen Grase gehen;
14Ein Knabe schien's, im grauen Kittelchen.
15Ich kannt es wohl, denn schon zum öftern Mal
16Sah dort im Dämmer ich so holdes Bild;
17Die Abendstille schien es herzubringen,
18Doch näher tretend fand man es nicht mehr.
19Nun ging es wieder, stand und ging umher,
20Als freu es sich der Garteneinsamkeit. –
21Ich aber, diesmal zu beschleichen es,
22Ging leise durch den Hof und seitwärts dann
23Im Schatten des Holunderzauns entlang,
24Sorgsam die Schritte messend; einmal nur
25Nach einer Erdbeerranke bückt ich mich,
26Die durch den Weg hinausgelaufen war.
27Schon schlüpft ich bei der Geißblattlaube durch;
28Ein Schritt noch ums Gebüsch, so war ich dort,
29Und mit den Händen mußt ich's greifen können.
30Umsonst! – Als ich den letzten Schritt getan,
31Da war es wieder wie hinweggetäuscht.
32Still stand das Gras, und durch den grünen Raum
33Flog surrend nur ein Abendschmetterling;
34Auch an den Linden, an den Fliederbüschen,
35Die ringsum standen, regte sich kein Blatt.
36Nachsinnend schritt ich auf dem Rasen hin
37Und suchte töricht nach der Füßchen Spur
38Und nach den Halmen, die ihr Tritt geknickt;
39Dann endlich trat ich aus der Gartentür,
40Um draußen auf dem Deich den schwülen Tag
41Mit einem Gang im Abendwind zu schließen.
42Doch als ich schon die Pforte zugedrückt,
43Den Schlüssel abzog, fiel ein Sonnenriß,
44Der in der Planke war, ins Auge mir;
45Und fast unachtsam lugte ich hindurch.
46Dort lag der Rasen, tief im Schatten schon;
47Und sieh! Da war es wieder, unweit ging's,
48Grasrispen hatt es in die Hand gepflückt;
49Ich sah es deutlich... In sein blaß Gesichtchen
50Fiel schlicht das Haar; die Augen sah man nicht,
51Sie blickten erdwärts, gern, so schien's, betrachtend,
52Was dort geschah; doch lächelte der Mund.
53Und nun an einem Eichlein kniet' es hin,
54Das spannenhoch kaum aus dem Grase sah
55– Vom Walde hatt ich jüngst es heimgebracht –,
56Und legte sacht ein welkes Blatt beiseit
57Und strich liebkosend mit der Hand daran.
58Darauf – kaum nur vermocht ich's zu erkennen;
59Denn Abend ward es, doch ich sah's genau –
60Ein Käfer klomm den zarten Stamm hinauf,
61Bis endlich er das höchste Blatt erreicht;
62Er hatte wohl den heißen Tag verschlafen
63Und rüstete sich nun zum Abendflug.
64Rückwärts die Händchen ineinanderlegend,
65Behutsam sah das Kind auf ihn herab.
66Schon putzte er die Fühler, spannte schon
67Die Flügeldecken aus, ein Weilchen, und
68Nun flog er fort. Da nickt' es still ihm nach.
76Da fiel ein Stern; und plötzlich mahnt' es mich
77Des Augenblicks, da ich das Haus verließ,
78Die Hand entreißend einer zarteren,
79Die drin im Flur mich festzuhalten strebte;
80Denn schon selbander hausete ich dort. –
81Nun ging ich raschen Schritts den Weg zurück;
82Und als ich spät, da schon der Wächter rief,
83Heimkehrend wieder durch den Garten schritt,
84Hing stumm die Finsternis in Halm und Zweigen,
85Die Kronen kaum der Bäume rauschten leis.
86Vom Hause her nur, wo im Winkel dort
87Der Nußbaum vor dem Kammerfenster steht,
88Verstohlen durch die Zweige schien ein Licht.
89Ein Weilchen noch, und sieh! ein Schatten fiel,
90Ein Fenster klang, und in die Nacht hinaus
91Rief eine Stimme: »Bist du's?« – »Ja, ich bin's!«
92Die Zeit vergeht; längst bin ich in der Fremde,
93Und Fremde hausen, wo mein Erbe steht.
94Doch bin ich einmal wieder dort gewesen;
95Mir nicht zur Freude und den andern nicht.
96Einmal auch in der Abenddämmerung
97Geriet ich in den alten Gartenweg.
98Da stand die Planke; wie vor Jahren schon
99Hing noch der Linden schön Gezweig herab;
100Von drüben kam Resedaduft geweht,
101Und Dämmrungsfalter flogen durch die Luft.
102Ging's noch so hold dort in der Abendstunde? –
103Fest und verschlossen stand die Gartentür;
104Dahinter stumm lag die vergangne Zeit.
105Ausstreckt ich meine Arme; denn mir war,
106Als sei im Rasen dort mein Herz versenkt. –
107Da fiel mein Aug auf jenen Sonnenriß,
108Der noch, wie ehmals, ließ die Durchsicht frei.
109Schon hatt ich zögernd einen Schritt getan;
110Noch einmal blicken wollt ich in den Raum,
111Darin ich sonst so festen Fußes ging.
112Nicht weiter kam ich. Siedend stieg mein Blut,
113Mein Aug ward dunkel; Grimm und Heimweh stritten
114Sich um mein Herz; und endlich, leidbezwungen,
115Ging ich vorüber. Ich vermocht es nicht.