1Ein leises Rauschen durch die Tannenzweige –
2des kurzen Tages Zwielicht geht zur Neige.
3Im Westen glimmt ein matter Rosenstreif,
4auf stille Fluren fällt der weiße Reif.
5Der weiße Reif, der rings das Feierkleid
6der Erde stickt mit flimmerndem Geschmeid.
7Der Abend kommt. Es kommt die heilige Nacht,
8die aus den Menschen selige Kinder macht,
9die Weihe-Nacht, da trost- und wundersam
10ein Märchentraum zur dunklen Erde kam:
11Der Friedenskönig, den die Welt verstieß,
12weil er die Armen Gottes Kinder hieß.
13Weil er den Sanften, der den Frieden liebt,
14den Liebenden, der seine Seele gibt,
15weit über alle Reichen dieser Welt,
16hoch über alle Herrschenden gestellt.
17Du Weiser, seit die Engelharfen klangen,
18sind nun Jahrtausende dahingegangen,
19die deinen Namen auf den Fahnen trugen
20und zu den fernsten Ländern Brücken schlugen,
21Millionen Kirchen prangen dir zum Ruhme,
22die ewige Flamme brennt im Heiligtume . . . .
23Und dennoch, du, der Sklaven Heil gespendet,
24du wärst noch heut in tiefe Nacht gesendet,
25du schienst auch heut in unser finstres Tal
26aus fernen Himmeln, ein verirrter Strahl;
27und gingest du im schlichten Arbeitskleid
28durch deine Menschheit, deine Christenheit,
29sie hätten heute dir das Kreuz errichtet
30und morgen dir den Holzstoß aufgeschichtet!
31Hoch auf dem Grunde, den dein Blick gesucht,
32darüber hin rast laut der Zeiten Flucht,
33da regt sich's dumpf, und aus der Erde Schoß
34ringt sich der Urquell aller Sehnsucht los.
35Die Welt durchhallt ein Schrei nach Luft und Licht:
36Wann braust du, Strom, der Wall und Schranke bricht?
37Wann kommst du, Tag, da hell die Sonne steigt,
38vor deren Glanz der tiefste Schatten weicht?
39Ich sah dein dunkles Angesicht
40erglühn in einem Strom von Licht. –
41Ich sah dein Aug, das sonst so trübe,
42verklärt von einem Strahl der Liebe.
43Da ward mir traumhaft wunderbar
44zumut; in tiefster Seele war
45mir's fast, als könnt der lichte Schein
46ein Abglanz meiner Liebe sein.