Clara Müller-Jahnke: Glut (1882)

1Mit roten Kressen hatt' ich mich geschmückt –
2du hast sie jäh an deiner Brust zerdrückt.

3Mit bleichen Wangen bot ich dir den Gruß –
4in Flammenwogen tauchte sie dein Kuß.

5Mit ruhigem Herzschlag trat ich zu dir her, –
6und nun, und nun: ich kenne mich nicht mehr....

7Nun lachst du mich verstohlen an
8mit dunklem Auge, du fremder Mann;
9mit brennender Lippe streifst du mich –
10heiß pocht mein Herz: ich kenne dich!

11Aus schwüler Träume Zauberspuk,
12aus Wüstenschemen voll Lug und Trug,
13aus Frühlingsnächten voll Windeswehn
14hab ich dein Bild mir winken sehn!

15Aus düster flammendem Morgenrot,
16das Hagelschauer den Saaten droht,
17aus lohendem Blitz, wenn ein Wetter braut,
18hat schon dein Auge mich angeschaut . . .

19Nun trittst du selbst in meinen Pfad:
20ich weiß, daß mein Verhängnis naht;
21mit brennender Lippe streifst du mich –
22wild rast mein Blut – ich grüße dich!

23Und als ich aus dem liebebangen,
24dem Kindertraum emporgeschreckt,
25hieltest du meine Hand umfangen
26und hast mit Küssen sie bedeckt.

27Ich hab im Blick dir lodern sehen
28der Sehnsucht zwingende Gewalt – –
29ich sah die Fieberschauer gehen
30durch deine trotzige Gestalt.

31Umsonst! umsonst nun Kampf und Beben:
32du hast gewußt, was dir gefrommt . . . .
33ein Blütenopfer war dein Leben,
34neige dein Haupt – der Herbststurm kommt!

35Auf meinen Lippen brennt dein Kuß,
36er brennt wie Feuer und Sünde,
37er brennt wie himmlischer Hochgenuß
38und macht mich zum schwachen Kinde.

39Viel wilde Rosen erblühn und glühn
40und glühn und verwelken am Hage –
41und der Wald ist duftig, der Wald ist grün
42am leuchtenden Julitage . . . . .

43Vom Meer herauf die Sonne grüßt,
44Tautropfen am Riedgras beben: – –
45wir haben uns kaum Willkommen geküßt
46und sollen uns Abschied geben!

47Und gehen sollst du, geliebter Mann,
48mit all' dem zitternden Bangen,
49mit der ungelöschten Glut hindann –
50und durften uns kaum umfangen.

51Wie lange währt es, so schwillt der Wein,
52im Felde die Sicheln klingen;
53all', was da blühte im Sonnenschein,
54wird reifen und Früchte bringen.

55Die Luft wird kühl, und das Laub verdorrt,
56Schnee liegt auf Hängen und Hagen ...
57wir aber werden von Ort zu Ort
58die zehrenden Gluten tragen.

59Ich lag in deinen Armen
60in willenloser Haft,
61durch deine Seele brauste
62der Sturm der Leidenschaft.

63Du zogst an deine Lippen
64aufjauchzend meine Hand –
65auf deiner stolzen Stirne
66ein Wort geschrieben stand.

67In schweren dunklen Zügen
68ein rätselwirres Wort, –
69ich seh' vor meinen Augen
70es leuchten immerfort.

71Es glüht in meinem Herzen
72und brennt sich in mein Hirn,
73es lockt mich in die Hölle
74das Wort auf deiner Stirn . . . .

75Und weil du meinem besseren Wesen mich
76entfremdet hast in jener schwülen Stunde,
77weil ich dich liebe, darum hass' ich dich,
78ja, hass' ich dich aus meines Herzens Grunde!

79Ich rüttle wild das eiserne Geflecht,
80das ich mir selber habe schmieden müssen;
81in deinen Armen hass' ich dich erst recht –
82und töten möcht' ich dich mit meinen Küssen!

83Laut pocht mein Herz – und dürstend blickt dein Aug':
84den Becher hebst du, – wohl, so laß uns trinken!
85Verglühen sollst du noch in meinem Hauch
86und sterbend mit mir in die Flammen sinken!

87Und siehst du nicht auf meiner Stirn
88das blutige Mal, den roten Streif? –
89Er drückte weh und wund mein Hirn,
90und ich zerbrach den Kettenreif.

91Des frommen Spieles ward ich müd,
92aus meinem Herzen bricht ein Schrei:
93es wogt die Nacht – die Lippe glüht –
94und aller Bande bin ich frei!

95Zieh mich noch einmal an deine Brust,
96erstick mich in lodernden Küssen:
97wir haben vom ersten Blick ja gewußt,
98wie bald wir scheiden müssen.

99Wir haben geschwelgt in heißem Genuß,
100als gält' es ein ewiges Meiden,
101und doppelt geküßt jeden feurigen Kuß,
102als wär' es der letzte vorm Scheiden!

103Bei dem die Minne am längsten wohnt,
104nicht der mag am besten fahren – –
105wir haben genossen in
106die Seligkeit von Jahren!

107Ich habe aus dem übervollen
108Pokal der Liebe rasch gezecht,
109ich nahm im Sturm, im heißen, tollen
110lenzseligen Rausch mein Jugendrecht.
111Dann hat der Trotz zu roten Flammen
112empört in mir das wilde Blut –
113und all mein Leben brach zusammen
114in schrankenloser Liebesglut.

115Was mir das Reinste schien und Beste,
116begraben liegt's im Flammenschoß.
117Am glühend heißen Aschenreste
118harre ich schauernd atemlos
119des lichten Wunders, das sich zeigen:
120des Phönix, der da lebensvoll
121aus toten Erdengluten steigen
122und mich gen Himmel tragen soll.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Clara Müller-Jahnke (1861-1905)

* 02/05/1861 in Łęczno, † 11/04/1905 in Rahnsdorf

weiblich, geb. Müller

deutsche sozialistische Dichterin, Journalistin und Frauenrechtlerin

(Aus: Wikidata.org)

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