Theodor Fontane: Gorm Grymme (1864)

1König Gorm herrscht über Dänemark,
2Er herrscht die dreißig Jahr,
3Sein Sinn ist fest, seine Hand ist stark,
4Weiß worden ist nur sein Haar,
5Weiß worden sind nur seine buschigen Brau'n,
6Die machten manchen stumm,
7In Grimme liebt er drein zu schaun, –
8Gorm Grymme heißt er drum.

9Und die Jarls kamen zum Feste des Jul,
10Gorm Grymme sitzt im Saal,
11Und neben ihm sitzt, auf beinernem Stuhl,
12Thyra Danebod, sein Gemahl;
13Sie reichen einander still die Hand
14Und blicken sich an zugleich,
15Ein Lächeln in beider Auge stand –
16Gorm Grymme, was macht dich so weich?

17Den Saal hinunter, in offner Hall',
18Da fliegt es wie Locken im Wind,
19Jung-Harald spielt mit dem Federball,
20Jung-Harald, ihr einziges Kind,
21Sein Wuchs ist schlank, blond ist sein Haar,
22Blau-golden ist sein Kleid,
23Jung-Harald ist heut fünfzehn Jahr,
24Und sie lieben ihn allbeid'.

25Sie lieben ihn beid'; eine Ahnung bang
26Kommt über die Königin,
27Gorm Grymme aber den Saal entlang
28Auf Jung-Harald deutet er hin,
29Und er hebt sich zum Sprechen – sein Mantel rot
30Gleitet nieder auf den Grund:
31»wer je mir spräche ›er ist tot‹,
32Der müßte sterben zur Stund'!«

33Und Monde gehn. Es schmolz der Schnee,
34Der Sommer kam zu Gast,
35Dreihundert Schiffe fahren in See,
36Jung-Harald steht am Mast,
37Er steht am Mast, er singt ein Lied,
38Bis sich's im Winde brach,
39Das letzte Segel, es schwand, es schied –
40Gorm Grymme schaut ihm nach.

41Und wieder Monde. Grau-Herbstestag
42Liegt über Sund und Meer,
43Drei Schiffe mit mattem Ruderschlag
44Rudern heimwärts drüber her;
45Schwarz hängen die Wimpel; auf Brömsebro-Moor
46Jung-Harald liegt im Blut –
47Wer bringt die Kunde vor Königs Ohr?

48Thyra Danebod schreitet hinab an den Strand,
49Sie hatte die Segel gesehn;
50Sie spricht: »Und bangt sich euer Mund,
51Ab legt sie ihr rotes Korallengeschmeid'
52Und die Gemme von Opal,
53Sie kleidet sich in ein schwarzes Kleid
54Und tritt in Hall' und Saal.

55In Hall' und Saal. An Pfeiler und Wand
56Goldteppiche ziehen sich hin,
57Schwarze Teppiche nun mit eigener Hand
58Hängt drüber die Königin,
59Und sie zündet zwölf Kerzen, ihr flackernd Licht,
60Es gab einen trüben Schein,
61Und sie legt ein Gewebe, schwarz und dicht,
62Auf den Stuhl von Elfenbein.

63Ein tritt Gorm Grymme. Es zittert sein Gang,
64Er schreitet wie im Traum,
65Er starrt die schwarze Hall' entlang,
66Die Lichter, er sieht sie kaum,
67Er spricht: »Es weht wie Schwüle hier,
68Ich will an Meer und Strand,
69Reich meinen rot-goldenen Mantel mir
70Und reiche mir deine Hand.«

71Sie gab ihm um einen Mantel dicht,
72Der war nicht golden, nicht rot,
73Gorm Grymme sprach: »Was niemand spricht,
74Er setzte sich nieder, wo er stand,
75Ein Windstoß fuhr durchs Haus,
76Die Königin hielt des Königs Hand,
77Die Lichter loschen aus.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Theodor Fontane (1819-1898)

* 12/30/1819 in Neuruppin, † 09/20/1898 in Berlin

männlich, geb. Fontane

deutscher Schriftsteller

(Aus: Wikidata.org)

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