1Sir Walter Raleigh sitzt und sinnt im Tower,
2Vergittert ist sein Fenster, Erz die Tür,
3Als sie sich schloß, schloß sich für ihn das Leben,
4Wenn sie sich öffnet, öffnet sie der Tod.
5Ihm lacht kein Gnadenstrahl; Tyrannenhaß
6Hat ihm auf Hochverrat das Wort gedeutet:
7»der Menschen Recht war vor dem Recht der Stuarts,
8Und Kön'ge sind
9Die Nacht ist da. Mitleidig durch die Scheiben
10Blickt nur der Mond, und nur der Stunde Schlag
11(trotz bietend dem Verbot des Kerkermeisters)
12Ruft dem Gefangnen zu: noch lebt die Zeit!
13Sir Walter aber, auf die weiße Hand
14– Blauadrig längst von Sorg' und Last der Jahre –
15Stützt er sein Haupt, und hastig weiter spürend
16Auf oft betretner Fährte des Gedankens,
17Vergißt er, traumverloren, Zeit und Welt;
18Er steigt ins eigne Herz hinab und schreibt:
19Willkommen mir, zu scheiden
20Von Leben und von Welt,
21Mag keinen Gast beneiden,
22Den's hier zurücke hält:
23Arm sind des Lebens Feste,
24Rings abgestandner Wein –
25Das Höchste und das Beste
26Wie niedrig und wie klein!
27Des Hofes Glanz und Schimmer
28Blinkt nur wie faules Holz,
29Die Kirche lebt vom Flimmer
30Und wird vor Demut stolz;
31Des Reichen Opferbringen,
32Des Mut'gen Märtyrtum,
33Der Quell, daraus sie springen,
34Heißt Sucht nach Ehr' und Ruhm.
35Des Klugen Witz verschwendet
36Der Worte viel – um nichts;
37Die Weisheit wird geblendet
38Vom Glanz des eignen Lichts;
39Selbst du, des Weltgewimmels
40Gepriesenste, o Kunst,
41Es zeugt dich statt des Himmels
42Die Mode und die Gunst.
43Der
44Die
45Nur, weil es heißt: »Du mußt!«
46Die
47In Schein und Lug und Trug,
48Das
49Ich hab' des Spiels genug.
50Willkommen mir, zu scheiden
51Von Leben und von Welt,
52Mag keinen Gast beneiden,
53Den's hier zurücke hält:
54Wem's Leben viel gegeben,
55Dem gab es Müh und Not,
56Der Tod nur ist das Leben,
57Und alles Leben – Tod.
58Sir Walter schrieb's; ein seltsam Testament,
59Mehr eine Beichte als ein letzter Wille.
60Da – während noch der gleichgesinnte Spruch
61›die Welt ist eitel‹ durch das Herz ihm klingt –
62Erfaßt ihn jener Spottgeist, der es liebt,
63In Widerspruch uns mit uns selbst zu bringen,
64Der neben unsre Demut, unsren Glauben
65Als immer fert'ges Fragezeichen tritt
66Und, wo voll Mitgefühls wir weinen wollen,
67Uns höhnisch zuruft: »Tor, so lache doch!«
68Hinzwingend auf den Demantring am Finger,
69Durchstreicht er ihm die Weisheit dieser Stunde
70Und gibt des Lebens Torheit ihm zurück.
71Sein Aug' wird hell, Sir Walter sieht nur eins:
72Den Sonnentag, der diesen Ring ihm brachte.
73Zu Windsor war's, inmitten Waldeslust,
74Durchs Eichenlaub floß goldne Mittagssonne,
75Und wo die Jagd all ihre Schätze häufte,
76Wo hundertfach der Hirsch im Blute lag,
77Im Aug' des Rehs die Todesträne blinkte
78Und wo der wilde Eber, nun so zahm,
79Der Furchen keine mehr im Erdreich riß,
80Da wuchs – als hätt' samt seinen Jagdgesell'n
81Sich Robin Hood ins Riedgras hin gelagert –
82Auf grünem Plan ein Festmahl aus der Erde:
83Mit duft'gem Moose war der Tisch gedeckt,
84Am Jagdspieß briet das Rundstück und der Ziemer,
85Vom nahen Hügel sprudelte der Quell,
86Daneben aber, selber schier ein Hügel,
87Lag für die durstigsten der durst'gen Kehlen
88Ein Stückfaß goldnen Weines, Vögel sangen,
89Nichts fehlte, nur der königliche Gast.
90Da scholl ein Horn, und sieh, in raschem Jagen,
91Gestrüpp und dichtes Farnkraut leicht durchbrechend,
92Erschien auf hohem Roß die hohe Frau,
93Und jetzt, voll Kraft sich aus dem Sattel schwingend,
94Berührte schon ihr Schleppenkleid den Boden,
95Da stutzte sie – des Waldgrunds Feuchte lag,
96Ein schwarzer Spiegel, schillernd ihr zu Füßen.
97Sie stutzte; wohl! doch Augenblicke nur:
98Denn pfeilgeschwind, herab zum Teppichdienste,
99Flog Ritter Raleighs goldgestickter Mantel,
100Und lächelnd nieder trat Elisabeth.
101Das war ein Tag! Noch die Erinnrung dran
102Gießt Lebenslust durch des Gefangnen Adern.
103Er
104Rückspiegeln ihm die Großtat manchen Tags,
105Und seines Klägers Unrecht gegenüber
106Anklammernd sich an seines
107Springt er jetzt auf und ruft: »Versuch es, Stuart!
108Schwer wiegt dein Haß, doch schwerer mein Verdienst.
109Irland stand auf – mein Degen warf es nieder;
110Cadix bot Trotz – ich brach den Trotz im Sturm,
111Und als des finstren Philipps Riesenflotte,
112Wie Goliath prahlend, vor Alt-England trat,
113Da barg
114Gott gab die Kraft, ich aber schwang den Stein.«
115Sir Walter spricht's; die Enge seines Kerkers
116Mit raschem Schritt durchmessend, preßt er jetzt
117– Als such' er Kühlung für die heiße Stirn –
118Sein fiebrig Haupt an seines Fensters Gitter,
119Und jetzt, durch trübes Scheibenglas hindurch,
120Nachblickend der zerrißnen Wolken Zug,
121Fährt plötzlich er zurück: ins Glas gekritzelt
122Steht »Essex« und ein Sterbekreuz darunter.
123Seltsames Spiel! Dieselben Wände sind's,
124Drin einst – wie er, verklagt auf Tod und Leben –
125Sein Nebenbuhler saß, zugleich sein
126Und siehe da! durchs Herz ihm, das noch eben,
127Von Ruhmes-Recht geträumt, gehn jetzt die Schauer
128Er zittert, und als scheu zum zweiten Male
129Sein Aug' er jetzt erhebt, da sind's des Grafen
130Schriftzüge nicht, nein, Züge des Gesichts,
131Und eine Grabesstimme ruft ihm zu:
132»irland stand auf – gleich
133Cadix bot Trotz – ich nahm's im Sturm, wie
134All meine Schuld, nicht größer als die deine,
135War königlicher Gunst verzognes Kind.
136Denn sieh, als leise schon das Wörtchen ›Gnade‹
137Den Weg vom Herzen auf die Lippe nahm,
138Erschlug die Tücke meines Nebenbuhlers
139Das süße Wort – und als der Herrin Huld
140Auch da noch schwankte, meinen ›Tod‹ zu schreiben,
141Da führte
142Vernimm: die
143Bereite dich, du zahlst sie mit dem Tod.«
144Die Stimme schwieg; der Morgen kam – die Zelle
145War öd' und leer. Doch auf dem Gras des Hofes
146Lag Tau der Nacht und Walter Raleighs Blut.