1Im Walde deucht mir alles miteinander schön,
2Und nichts Mißliebiges darin, so vielerlei
3Er hegen mag; es krieche zwischen Gras und Moos
4Am Boden, oder jage reißend durchs Gebüsch,
5Es singe oder kreische von den Gipfeln hoch,
6Und hacke mit dem Schnabel in der Fichte Stamm,
7Daß lieblich sie ertönet durch den ganzen Saal.
8Ja machte je sich irgend etwas unbequem,
9Verdrießt es nicht, zu suchen einen andern Sitz,
10Der schöner bald, der allerschönste, dich bedünkt.
11Ein einzig Übel aber hat der Wald für mich,
12Ein grausames und unausweichliches beinah.
13Sogleich beschreib ich dieses Scheusal, daß ihr's kennt;
14Noch kennt ihr's kaum, und merkt es nicht, bis unversehns
15Die Hand euch und, noch schrecklicher, die Wange schmerzt.
16Geflügelt kommt es, säuselnd, fast unhörbarlich;
17Auf Füßen, zweimal dreien, ist es hoch gestellt
18(deswegen ich in Versen es zu schmähen auch
19Den klassischen Senarium mit Fug erwählt);
20Und wie es anfliegt, augenblicklich lässet es
21Den langen Rüssel senkrecht in die zarte Haut;
22Erschrocken schlagt ihr schnell darnach, jedoch umsonst,
23Denn, graziöser Wendung, schon entschwebet es.
24Und alsobald, entzündet von dem raschen Gift,
25Schwillt euch die Hand zum ungestalten Kissen auf,
26Und juckt und spannt und brennet zum Verzweifeln euch
27Viel Stunden, ja zuweilen noch den dritten Tag.
28So unter meiner Lieblingsfichte saß ich jüngst–
29Zur Lehne wie gedrechselt für den Rücken, steigt
30Zwiestämmig, nah dem Boden, sie als Gabel auf –
31Den Dichter lesend, den ich jahrelang vergaß:
32An Fanny singt er, Cidli und den Zürcher See,
33Die frühen Gräber und des Rheines goldnen Wein
34(o sein Gestade brütet jenes Greuels auch
35Ein größeres Geschlechte noch und schlimmres aus,
36Ich kenn es wohl, doch höflicher dem Gaste war's). –
37Nun aber hatte geigend schon ein kleiner Trupp
38Mich ausgewittert, den geruhig Sitzenden;
39Mir um die Schläfe tanzet er in Lüsternheit.
40Ein Stich! der erste! er empört die Galle schon.
41Zerstreuten Sinnes immer schiel ich übers Blatt.
42Ein zweiter macht, ein dritter, mich zum Rasenden.
43Das holde Zwillings-Nymphen-Paar des Fichtenbaums
44Vernahm da Worte, die es nicht bei mir gesucht;
45Zuletzt geboten sie mir flüsternd Mäßigung:
46Wo nicht, so sollt ich meiden ihren Ruhbezirk.
47Beschämt gehorcht ich, sinnend still auf Grausamtat.
48Ich hielt geöffnet auf der flachen Hand das Buch,
49Das schwebende Geziefer, wie sich eines naht,
50Mit raschem Klapp zu töten. Ha! da kommt schon eins!
51»du fliehst! o bleibe, eile nicht, Gedankenfreund!«
52(dem hohen Mond rief jener Dichter zu dies Wort.)
53Patsch! Hab ich dich, Kanaille, oder hab ich nicht?
54Und hastig – denn schon hatte meine Mordbegier
55Zum stillen Wahnsinn sich verirrt, zum kleinlichen –
56Begierig blättr' ich: ja, da liegst du plattgedrückt,
57Bevor du stachst, nun aber stichst du nimmermehr,
58Du zierlich Langgebeinetes, Jungfräuliches!
59– Also, nicht achtend eines schönen Buchs Verderb,
60Trieb ich erheitert lange noch die schnöde Jagd,
61Unglücklich oft, doch öfter glücklichen Erfolgs.