Gottfried Keller: Melancholie (1849)

1Sei mir gegrüßt, Melancholie,
2Die mit dem leisen Feenschritt
3Im Garten meiner Phantasie
4Zu rechter Zeit ans Herz mir tritt!

5Die mir den Mut, wie eine junge Weide,
6Tief an den Rand des Lebens biegt,
7Doch dann in meinem bittren Leide
8Voll Treue mir zur Seite liegt!

9Die mir der Wahrheit Spiegel hält,
10Den düster blitzenden, empor,
11Daß der Erkenntnis Träne schwellt
12Und bricht aus zagem Aug hervor.
13O strenge Rache nimmst du Dunkle immer,
14Wenn ich dich mehr und mehr vergaß
15Ob lärmendem Geräusch und Flimmer,
16Die doch an meiner Wiege saß!

17Es hängt mein Herz an eitler Lust
18Und an der Torheit dieser Welt;
19Oft mehr als eines Weibes Brust
20Ist es von Außenwerk umstellt!
21Und selbst den Trost, daß ich aus eignem Streben,
22Daß alles nichtig ist, erkannt,
23Nimmst du und hast mein stolz Erheben
24Zu Boden alsobald gewandt,

25Wenn du mir lächelnd zeigst das Buch
26Des Königs, den ich oft verhöhnt,
27Aus dem es, wie von Erz ein Fluch:
28Daß alles eitel sei! ertönt.
29Und nah und ferne hör ich dann erklingen
30Gleich Narrenschellen ein Getön –
31O Göttin, laß mich dich umschlingen,
32Nur du, nur du bist wahr und schön!

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Gottfried Keller (1819-1890)

* 07/19/1819 in Zürich, † 07/15/1890 in Zürich

männlich, geb. Keller

Schweizer Schriftsteller, Dichter und Maler

(Aus: Wikidata.org)

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