Gottfried Keller: Der Nachtschwärmer (1854)

1Von heißer Lebenslust entglüht,
2Hab ich das Sommerland durchstreift,
3Darüber ist der Tag verblüht
4Und zu der schönsten Nacht gereift.
5Ich steige auf des Berges Rücken
6Zur Kanzel von Granit empor
7Und beuge mich mit trunknen Blicken
8In die entschlafne Landschaft vor.

9Am andern Berge drüben steht
10Im Sternenschein der Liebe Haus,
11Aus seinem offnen Fenster weht
12Ein Vorhang in die Nacht hinaus;
13Das ist fürwahr ein luftig Gitter,
14Das mir das Fräulein dort verschließt,
15Nur schade, daß mir armem Ritter
16Der tiefe Strom dazwischen fließt!

17So will ich ihr ein Ständchen bringen,
18Das weithin durch die Lüfte schallt,
19Und spiele du zu meinem Singen,
20O Geist der Nacht, auf Tal und Wald!
21Den Wind laß mit den Tannen kosen,
22Die wie gespannte Saiten stehn,
23Und mit der Wellen fernem Tosen
24Der Nachtigallen Chor verwehn!

25Im Osten zieht ein Wetter hin,
26Das stellen wir als Helfer an:
27Wie leuchtend schwingt sein Tamburin
28Am Horizonte der Titan!
29Die Mühlen sind die Zitherschläger
30Beim Wassersturz im Felsengrund;
31Im Wagen fährt mein Fackelträger
32Hoch vor mir her am Himmelsrund!

33Nun will ich singen überlaut
34Vor allem Land, das grünt und blüht,
35Es ist kein Turm so hoch gebaut,
36Darüberhin mein Sang nicht zieht!
37So eine kühne Brücke schlagend,
38Such ich zu ihrem Ohr den Weg:
39Betritt im Traum das Seelchen zagend
40Des wilden Lärmers schwanken Steg?

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Gottfried Keller (1819-1890)

* 07/19/1819 in Zürich, † 07/15/1890 in Zürich

männlich, geb. Keller

Schweizer Schriftsteller, Dichter und Maler

(Aus: Wikidata.org)

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