1Mit Fingern mager und müd,
2Mit Augen schwer und rot,
3In schlechten Hadern saß ein Weib
4Nähend fürs liebe Brot.
5Stich! Stich! Stich!
6Aufsah sie wirr und fremde;
7In Hunger und Armut flehentlich
8Sang sie das »Lied vom Hemde«.
9»schaffen! Schaffen! Schaffen!
10Sobald der Haushahn wach!
11Und Schaffen – Schaffen – Schaffen,
12Bis die Sterne glühn durchs Dach!
13O, lieber Sklavin Sein
14Bei Türken und bei Heiden,
15Wo das Weib keine Seele zu retten hat,
16Als so bei Christen leiden!
17Schaffen – Schaffen – Schaffen,
18Bis das Hirn beginnt zu rollen!
19Schaffen – Schaffen – Schaffen,
20Bis die Augen springen wollen!
21Saum und Zwickel und Band,
22Band und Zwickel und Saum –
23Dann über deb Knöpfen schlaf' ich ein,
24Und nähe sie fort im Traum.
25O Männer, denen Gott
26Weib, Mutter, Schwestern gegeben:
27Nicht Linnen ist's, was ihr verschleißt –
28Nein, warmes Menschenleben!
29Stich! Stich! Stich!
30Das ist der Armut Fluch:
31Mit doppeltem Faden näh' ich Hemd,
32Ja, Hemd und Leichentuch!
33Doch was red' ich nur vom Tod,
34Dem Knochenmanne! – Ha!
35Kaum fürcht' ich seine Schreckgestalt,
36Sie gleicht meiner eignen ja!
37Sie gleicht mir, weil ich faste,
38Weil ich lange nicht geruht.
39O Gott, daß Brot so teuer ist,
40Und so wohlfeil Fleisch und Blut!
41Schaffen – Schaffen – Schaffen!
42Und der Lohn? Ein Wasserhumpen,
43Eine Kruste Brot, ein Bett von Stroh,
44Dort das morsche Dach – und Lumpen!
45Ein alter Tisch, ein zerbrochner Stuhl,
46Sonst nichts auf Gottes Welt!
47Eine Wand so bar – 's ist ein Trost sogar,
48Wenn mein Schatten nur drauf fält!
49Schaffen – Schaffen – Schaffen –
50Vom Früh- zum Nachtgeläut!
51Schaffen – Schaffen – Schaffen,
52Wie zur Straf' gefangne Leut'!
53Band und Zwickel und Saum,
54Saum und Zwickel und Band,
55Bis vom ewigen Bücken mir schwindig wird,
56Bis das Hirn mir starrt und die Hand!
57Schaffen – Schaffen – Schaffen,
58Bei Dezembernebeln fahl!
59Schaffen – Schaffen – Schaffen,
60In des Lenzes sonnigem Strahl!
61Wenn zwitschernd sich ans Dach
62Die erste Schwalbe klammert,
63Sich sonnt und Frühlingslieder singt,
64Daß das Herz mir zuckt und jammert.
65O, draußen nur zu sein,
66Wi Viol' und Primel sprießen –
67Den Himmel über mir,
68Und das Gras zu meinen Füßen!
69Zu fühlen wie vordem,
70Ach,
71Eh' noch es hieß: Ein Mittagsmahl
72Für ein Wandern auf der Flut!
73Ach ja, nur eine Frist,
74Wie kurz auch – nicht zur Freude!
75Nein, auszuweinen mich einmal
76So recht in meinem Leide!
77Doch zurück, ihr meine Tränen!
78Zurück tief ins Gehirn!
79Ühr kämt mir schön! netztet beim Nähn
80Mir Nadel nur und Zwirn!«
81Mit Fingern mager und müd,
82Mit Augen schwer und rot,
83In schlechten Hadern saß ein Weib,
84Nähend fürs liebe Brot.
85Stich! Stich! Stich!
86Aufsah sie wirr und fremde;
87In Hunger und Armut flehentlich –
88O, schwäng' es laut zu den Reichen sich! –
89Sang sie dies »Lied vom Hemde«.