Johann Gaudenz von Salis-Seewis: 42. Bild des Lebens (1798)

1Auf des Erdenlebens Steige
2Fällt der Freude Silberlicht,
3Flüchtig, wie durch rege Zweige
4Bleiches Mondgeflimmer bricht;
5Wie sich Glanz und Nacht verdrängen,
6Wo der Tag verlischt im Hain,
7Wechseln auf des Schicksals Gängen
8Dunkle Sorg' und Wonneschein.

9Wenn der Strauch am Kirchhofswege
10Blüten auf den Brautzug streut,
11Neigt das grünende Gehege
12Bald sich auf ein Grabgeleit.
13Ulmen, unter deren Blätter
14Oft die Nachtigall sich barg,
15Leihen bald des Stammes Bretter
16Zu der Dorfbewohner Sarg.

17Jener West, der auf dem Weizen
18Wonnetaumelnd Wogen schlägt,
19Flüstert bang' an Denkmalskreuzen,
20Wenn ihr dürrer Kranz sich regt;
21Heute weht er Regenschauer,
22Morgen Goldgewölke fort;
23Hebet hier den Flor der Trauer
24Und entblättert Rosen dort.

25Wenn, des Reigens Platz zu hellen,
26Sich das Abendgold ergießt,
27Dringt es auch in Gitterzellen,
28Wo sich scheuer Gram verschließt.
29Wenn das Meer im Frührot schimmert,
30Färbt sich auch die Klippenbank,
31Wo, vom Nachtorkan zertrümmert,
32Das bemannte Schiff versank.

33Wandrer, der am Strom der Zeiten
34Mit gesenktem Blicke ruht,
35Sieh! auf seiner Flut entgleiten
36Wolkenschatten, Rosenglut.
37Die Natur in ihren Bildern,
38Steten Laufs, doch wandelbar,
39Heißt den Schmerz durch Hoffnung mildern,
40Mahnt den Leichtsinn an Gefahr.

41Aus dem Schutte feuchter Hallen
42Keimt die Steinlevkoje bald;
43Heiter, neben Urnen, wallen
44Nymphen im Cypressenwald;
45Auf der Wahlstatt singt die rasche,
46Ahnungslose Schnitterin,
47Hüpft auf der vergeßnen Asche
48Manches Heldenjünglings hin.

49Horch, was dir des Teiers Leier,
50Gleims und Flaccus' Muse rät:
51Weise, wer der Zukunft Schleier
52Nur bekränzt und nie durchspäht!
53Trag ein Herz, den Freuden offen,
54Doch zum Leidenskampf bereit;
55Lern im Mißgeschicke hoffen;
56Denk des Sturms bei heitrer Zeit!

57Zage nie: Den Kelch der Schmerzen
58Würzt ein süßes Nachgefühl;
59Hehrer Schauer hebt die Herzen
60Im Orkan und Schlachtgewühl.
61Hoher Mut und Kraft entquellen
62Fest bestandener Gefahr;
63Genien des Trosts gesellen
64Sich zur Schwermut unsichtbar.

65Späh nicht in des Stromes Bette,
66Labe dich am Rasenbord;
67Knüpfe neu der Freuden Kette,
68Wenn ein Blumenglied verdorrt!
69Donnerschläge, Waldgesänge
70Wechseln neben deiner Bahn;
71Wandle du, durch Blumengänge
72Ernst, durch Klippen froh hinan!

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:

Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834)

* 12/26/1762 in Schloss Bothmar, † 01/29/1834 in Schloss Bothmar

männlich, geb. Salis

Schweizer Dichter

(Aus: Wikidata.org)

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